User Interface zentrales Element der digitalen Kundenbindung

Chinesische Automarken in Deutschland

User Interface zentrales Element der digitalen Kundenbindung
Immer ein Hingucker: der Mercedes Hyperscreen. © Plank

Das User Interface ist für die Autobauer das zentrale Element der digitalen Kundenbeziehung. Es bildet den Zugang zu Diensten, Over-the-Air-Updates und neuen Einnahmequellen.

Die chinesischen Hersteller haben in den letzten zwei Jahren weiter an Boden gewonnen. BYD ist inzwischen der weltweit größte Hersteller von Elektrofahrzeugen und hat Tesla international in den Verkaufszahlen überholt. Geely, als Mutterkonzern von Volvo, Polestar, Lotus, Zeekr und Smart, baut sein globales Automobil-Ökosystem strategisch aus.

Besonders spannend ist dabei Smart, die ehemalige Kleinstwagenmarke von Mercedes-Benz. Nach dem Joint Venture mit den Schwaben wurde Smart durch Geely als elektrische Premium-Marke neu positioniert. Die neuen Modelle, wie der Smart #1 und Smart #3, basieren auf Geelys SEA-Plattform und bieten fortschrittliche Softwarelösungen, Over-the-Air-Updates und ein stark vernetztes Infotainmentsystem. Jüngstes Modell ist der #5, ein SUV mit einer Länge von 4,70 Meter.

Zeekr positioniert sich im Premium-Segment

Der Zeekr X kommt auch mit Allradantrieb. Foto: Zeekr

Zeekr selbst positioniert sich dabei als Premium-Elektromarke mit einem klaren Fokus auf Software und Nutzererlebnis. Nio als weiterer chinesischer Hersteller setzt auf innovative Batteriewechsel-Stationen und bietet eine starke digitale Plattform, die sich durch nahtlose Over-the-Air-Updates und ein hochentwickeltes Infotainment-System auszeichnet. Die deutschen Premiumhersteller stehen damit unter Druck – nicht nur im unteren Segment, sondern zunehmend auch in der Luxusklasse.

Volkswagen als Europas größter Autobauer hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Unter Oliver Blume wurde Cariad umstrukturiert, und mit dem „Software 2.0“-Programm sollen die Entwicklungsprozesse effizienter werden. Doch die Herausforderungen bleiben: Während VW bisher auf eine eigene proprietäre HMI-Plattform gesetzt hat, werden sie zukünftig auf bei vielen Modellen auf Android Automotive OS als Basis setzen.

Dabei setzen sie allerdings nicht auf die Google Automotive Services (GAS), welches Google eigenes UI-Design und Dienste mitbringt. Hier geht VW einen ähnlichen Weg wie Rivian, mit denen die Wolfsburger für Modelle in Europa und Nordamerika ein Joint Venture gebildet haben. Rivian setzt ebenfalls im User Interface auf die Open Source Version von Android Automotive, genau wie BMW und Volvo, die mittlerweile vollständig auf Android Automotive setzen. Mercedes hat mit MBUX seine eigene Strategie weiterentwickelt, nutzt aber ebenfalls Partnerschaften mit Google für Karten- und Navigationsdienste. Interessant ist, dass Android Automotive Apps ebenfalls im MBUX funktionieren.

Kontrolle über das UI entscheidend für OEMs

Ein Paradigmenwechsel ist eingetreten: Anstatt alles selbst zu entwickeln, setzen die deutschen Hersteller zunehmend auf Partnerschaften, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Doch dies birgt auch Risiken, insbesondere, wenn Google, Apple, OpenAI oder Amazon am Ende die Hoheit über das digitale Fahrerlebnis haben.

Für Automobilhersteller ist das User Interface (UI) das zentrale Element der digitalen Kundenbeziehung. Es ist der direkte Zugangspunkt zu digitalen Diensten, Over-the-Air-Updates und zukünftigen Einnahmequellen. Wer das UI kontrolliert, entscheidet, welche Services genutzt werden – und damit, wo die Umsätze generiert werden.

Wenn OEMs das UI an Apple (CarPlay) oder Google (Android Auto) abgeben, riskieren sie, sich in eine Position zu manövrieren, in der sie nur noch die Hardware liefern, während die Software- und Service-Umsätze an die Tech-Unternehmen fließen. Dieses Szenario kennen wir bereits aus der Smartphone-Industrie: Hersteller wie Nokia oder HTC verloren an Bedeutung, weil sie das Betriebssystem nicht selbst kontrollierten.

Einige OEMs haben dies erkannt und investieren in eigene Software-Stacks. Mercedes geht mit MBUX einen eigenständigen Weg, während andere OEMs hoffen mit der Open Source Version von Android Automotive nicht abhängig von Google zu werden. Der Erfolg dieser Strategien wird darüber entscheiden, ob die Hersteller weiterhin ein vollständiges Mobilitätsprodukt anbieten – oder ob sie zu reinen Hardware-Lieferanten degradiert werden.

ChatGPT und Google Vertex AI

MIT KI bringt auch Mercedes mehr Intelligenz ins Auto. Foto: Mercedes

Ein entscheidender Faktor für das digitale Erlebnis im Fahrzeug ist die Integration von KI-basierten Sprachassistenten. Während frühere Sprachsteuerungen oft unflexibel waren und nur einfache Befehle verarbeiten konnten, setzen die OEMs nun auf ChatGPT und Google Vertex AI, um das Auto zu einem intelligenten Assistenten zu machen.

Ein besonders innovativer Schritt kommt von Mercedes in Kooperation mit Google Vertex AI. Mercedes hat kürzlich ein Fine-Dining-Suchsystem eingeführt, das es Fahrern ermöglicht, direkt im Fahrzeug nach erstklassigen Restaurant-Erlebnissen zu suchen. Durch die Verknüpfung von Echtzeit-Daten, Nutzerpräferenzen und KI-gestützten Bewertungen wird eine personalisierte Empfehlungsliste generiert, die direkt in die Navigation integriert werden kann.

Digitales Erlebnis für den Passagier

Eine weitere Innovation, die das Nutzererlebnis im Fahrzeug verändert, ist die Einführung von Beifahrer-Displays. Während Bildschirme im Fahrzeug früher primär für den Fahrer oder das zentrale Infotainmentsystem gedacht waren, erhalten jetzt auch Beifahrer eigene digitale Interaktionsmöglichkeiten. Dazu nachfolgend ein paar Beispiele.

Audi Q6 e-tron: Der Beifahrer erhält ein eigenes Display mit Streaming-Funktionen, Navigationsoptionen und individuellen Einstellungen.

Glücklicherweise erlag Porsche nicht der Versuchung, das Innenraum-Design neu zu erfinden. Foto: Porsche

Porsche Macan (2024): Der Beifahrer kann auf einem separaten Display Inhalte konsumieren oder Navigationsbefehle direkt an das Hauptsystem übermitteln.
Mercedes Hyperscreen: Ein durchgängiges, OLED-basiertes Display, das dem Beifahrer Zugriff auf Entertainment- und Assistenzfunktionen ermöglicht.

Diese individuellen Displays eröffnen völlig neue Möglichkeiten für OEMs: Dazu8 gehören eine erweiterte Nutzung bestehender Apps: Streaming-Dienste wie Netflix, DAZN oder YouTube werden direkt auf das Beifahrer-Display gebracht. Personalisierte Interaktion mit dem Fahrzeug: Beifahrer können Routenplanung übernehmen, Points of Interest suchen oder das Fahrzeugklima steuern, ohne den Fahrer abzulenken.

Neue Einnahmemöglichkeiten

Neue Monetarisierungsmöglichkeiten für OEMs: Spezielle digitale Services wie Premium-Streaming-Abos oder exklusive Inhalte können direkt über das Beifahrer-Display angeboten werden. Durch diese zusätzlichen Displays wird die Akzeptanz von Connectivity-Lösungen in Fahrzeugen deutlich erhöht. Viele Kunden sind bereits an nahtlose digitale Erlebnisse aus ihrem Smartphone-Alltag gewöhnt – mit den neuen Beifahrer-Displays bieten die OEMs eine ähnliche Experience im Fahrzeug.

Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die deutschen Automobilhersteller in der Lage sind, sich als digitale Player neu zu erfinden. Der Markt bleibt in Bewegung: Apple baut sein Automotive-Ökosystem mit Partnern wie Porsche weiter aus, Google setzt auf Android Automotive, und China wird immer dominanter wie Flyme Auto.

Für OEMs ist es eine zentrale Herausforderung, die Kontrolle über das digitale Erlebnis zu behalten. Wer das User Interface, die Sprachsteuerung und KI-gestützte Services besitzt, kontrolliert auch die zukünftigen Umsätze. Gleichzeitig zeigt sich: Durch die neuen Beifahrer-Displays steigt die Nutzung und Akzeptanz digitaler Services massiv an. OEMs, die diesen Trend nutzen, können nicht nur neue Einnahmequellen erschließen, sondern sich auch langfristig als Anbieter vernetzter Mobilitätslösungen positionieren.

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Henry Bauer
Unser Gastautor Henry Bauer (Mitte 40) ist Head of Automotive bei Endava, einem führenden europäischen IT-Dienstleister für digitale Plattformen, Softwareentwicklung und Transformation. Zuvor war er viele Jahre in leitender Position bei der Berliner Digitalagentur Exozet tätig, zuletzt als CTO und Partner. Nach der Übernahme von Exozet durch Endava im Jahr 2019 übernahm er zunehmend strategische Rollen im internationalen Automobilgeschäft. Henry Bauer ist zudem Mitgründer des Virtual Reality e.V. Berlin-Brandenburg (2016) und engagiert sich seit vielen Jahren an der Schnittstelle von Technologie, Nutzererlebnis und Mobilität der Zukunft.

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