«Ein autonomes Auto ist weder ethisch noch unethisch»

Zukunftsforscher Alexander Mankowsky

«Ein autonomes Auto ist weder ethisch noch unethisch»
Alexander Mankowsky ist Zukunftsforscher bei Daimler © Daimler

Autonomes Fahren ist nicht nur eine Frage der Technik. Es geht um ethische Aspekte. Im Interview mit der Autogazette spricht Zukunftsforscher Alexander Mankowsky über soziale Akzeptanz und darüber, wie die neue Technik die Innenstädte verändert.

Ohne soziale Akzeptanz wird sich autonomes Fahren nicht durchsetzen. Deshalb führt Daimler einen Dialog über ethische Probleme der neuen Technologie. Wie verhält sich ein Roboterauto in einer Gefahrensituation? Bremst es eher für ein Kind als für einen Rentner? Reagiert es ethisch? «Ein autonomes Auto ist weder ethisch noch unethisch. Es ist ein Automat», sagte Daimler-Zukunftsforscher Alexander Mankowsky im Interview mit der Autogazette.

Im Falle einer Gefahr bremst das Auto radikal ab

«Auch wenn es jetzt viel diskutiert wird: Der Programmierer weiß nicht, dass dort am Straßenrand ein zweijähriges Kind oder ein 80 Jahre alter Rentner steht.» Wie Mankowsky hinzufügte, könne ein Automat «heute und in absehbarer Zeit keine ethischen Entscheidungen fällen». Das bedeutet, dass das selbstfahrende Auto in einer Gefahrensituation so reagieren muss, dass im Idealfall nichts passiert. Das bedeutet, dass es zur Vermeidung eines Unfalls radikal bremst.

«Umfragen ignoriere ich da komplett»

Der Mercedes F 015 - mit ihm erobert man seine Zeit zurück.
Der Mercedes F 015 Daimler

Autogazette: Herr Mankowsky, Daimler arbeitet wie andere Hersteller am autonomen Fahren. Doch die Technik ist das eine, die soziale Akzeptanz das andere. Schaut man sich die verschiedenen Umfragen an, dann scheint die Akzeptanz für diese neue Technologie noch nicht sehr ausgeprägt zu sein.

Alexander Mankowsky: Umfragen ignoriere ich da komplett. Denn die soziale Akzeptanz von neuen Technologien wie dem autonomen Fahren hängt von den persönlichen Erfahrungen ab. Im konkreten Fall vom persönlichen Erleben, des persönlichen Erfahrens. Ein gutes Beispiel sind die Erfahrungen der Kunden mit dem teilautonomen Fahren im Stau. Bevor sie das erste Mal damit unterwegs waren, zeigten sie sich dieser Technologie gegenüber skeptisch. Doch nachdem sie damit erst einmal unterwegs waren, empfanden sie es als enorm stressfrei und entlastend.

Autogazette: Also kann man aus Ihrer Sicht die Einstellung der Kunden zu einer neuen Technologie nicht valide abfragen, wenn diese sie nur rein theoretisch kennen?

Mankowsky: Genau, es geht ja um das Vertrauen in neue Technologien und die habe ich nur, wenn ich weiß, wie etwas funktioniert und ich es selbst ausprobiert habe. Das lässt sich nicht im Voraus abfragen.

«Damit wird das Auto auch berechenbarer»

Autogazette: Wie schaffen Sie denn dieses notwendige Vertrauen, nur durch Ausprobieren?

Mankowsky: Auch, aber natürlich nicht nur. Es geht auch darum, wie man autonome Fahrzeuge in ihr Umfeld einbringt. Hier geht es nicht um die Frage der Interaktion zwischen Passagier und Fahrzeug, sondern wie die anderen Verkehrsteilnehmer dieses selbstfahrende Auto einschätzen und wie sie richtig auf ihn reagieren. Deshalb muss dieser neue Verkehrsteilnehmer, hier das autonome Fahrzeug, mit den entsprechenden Kommunikationsmitteln ausgestattet werden.

Autogazette: Sie meinen damit also eine Mensch-Maschine-Kommunikation?

Mankowsky: Ja, hier aber von außen. Beispielsweise durch Lichtsignale, wie wir es mit dem Mercedes F 015 zeigen. Fährt er autonom, leuchten seine Scheinwerfer beispielsweise blau. Ich weiß dann, was er nicht machen wird: er wird beispielsweise nicht zu dicht auffahren. Dieses Forschungsfahrzeug ist ja auch in der Lage, dem Fußgänger zu sagen, dass er nun vor ihm die Straße überqueren kann. Dazu projiziert er entweder einen Zebrastreifen auf die Straße, kann ihm das aber zugleich auch akustisch mitteilen. Damit wird das Auto auch berechenbarer. Es entsteht mehr Vertrauen, mehr Sicherheit.

Autogazette: Eine Kommunikation setzt aber einen Sender und Empfänger voraus. Damit reicht es nicht aus, dass nur der Mensch die Signale des Autos versteht.

Mankowsky: Richtig, das funktioniert ja teilweise bereits, in dem das Auto Gesten erkennt oder auf das Fahrverhalten eines anderen Autos richtig reagiert.

«Vision Zero zielt zunächst auf die Stadtentwicklung»

Mercedes ist autonom in Kalifornien unterwegs.
Autonom unterwegs in einem Mercedes S 500 Daimler

Autogazette: Wird das Autofahren durch selbstfahrende Fahrzeuge wirklich sicherer? Wird die Vision Zero Realität?

Mankowsky: Vision Zero zielt zunächst einmal auf die Stadtentwicklung ab, dort auf den innerstädtischen Verkehr. Hier werden Unfallschwerpunkte nicht mehr toleriert. Gibt es derartige Schwerpunkte, dann liegt es vielleicht an der speziellen Gestaltung einer Kreuzung oder einer Straße. Hier sind dann die Stadtplaner gefragt, nicht die Autobauer. Autohersteller können für Vision Zero nur ihren Teil leisten, damit beispielsweise durch Fahrassistenzsysteme weniger Unfälle passieren. Autonome Fahrzeuge sind per se keine unfallfreien Fahrzeuge.

Autogazette: Bei Volvo sieht das aber anders aus: Hier will man bis zum Jahr 2020 erreichen, dass kein Fahrer eines Volvo in seinem Fahrzeug stirbt.

Mankowsky: Bereits heute ist man in seinem Auto gut geschützt. Doch letztlich geht es zur Unfallvermeidung um eine bessere Infrastruktur. Der typische Unfall in der Stadt ist der Abbiegeunfall: Ein Lkw biegt ab, übersieht dabei aber den Radfahrer und überrollt ihn. Dieser Unfall kann allein dadurch verhindert werden, dass alle Fahrzeuge zeitgleich rot haben und die Fußgänger grün. Damit ist das Problem erledigt. Das erkennen mittlerweile auch die Verkehrsplaner.

«Statt einer Leitplanke kann man einen Baum pflanzen»

Autogazette: Inwieweit können autonome Fahrzeuge das Leben in der Stadt lebenswerter machen? Sie sprechen in diesem Zusammenhang ja von Shared Space, also geteiltem Raum?

Mankowsky: Jeder von uns kennt es: In Innenstädten ist der Platz knapp, zu knapp. Aber man möchte diesen Platz gern so haben, dass er von vielen Menschen für die Fortbewegung, Geschäfte oder Freizeitaktivitäten genutzt werden kann. Dazu muss man ihn teilen. Wer in speziellen Innenstadtbereichen Sicherheitszonen einrichtet, also dort nur autonom fahrende Autos fahren lässt, der kann zu einer flexiblen Nutzung der Innenstadt kommen. Flexible Nutzung bedeutet: wir können auf viele Verkehrszeichen, wir können auf platzraubende Signalanlagen verzichten und damit können wir die Straßen mehr öffnen und sie zu Plätzen der Begegnung machen.

Autogazette: Ermöglichen autonom fahrende Autos auch eine kostengünstigere Infrastruktur?

Mankowsky: Absolut, durch die mit den autonom fahrenden Autos einhergehenden Technologien ist kein großer finanzieller Aufwand für die Veränderung der Infrastruktur nötig. So kann ich beispielsweise kleine Radarreflektoren auf die Straße stellen – die kaum etwas kosten – und mir damit meinen Shared Space schaffen. Die Autos erkennen diese Reflektoren und fahren um sie herum. Wenn man sich die heutigen Straßen anschaut, dann sieht man viele Leitplanken etc. Wenn man dies abbauen kann, dann werden die Innenstädte auch schöner. Statt einer Leitplanke kann man einen Baum pflanzen und eine Sitzbank aufstellen.

Autogazette: Das setzt indes auch eine Veränderung im Denken voraus, angefangen bei Regeln, wie ich mir meinen Shared Space schaffen kann.

Mankowsky: Es reicht nicht, nur die Technik bereit zu stellen. Bürger müssen den Verkehrsraum neu entdecken, neu erfinden und sich den Platz, den man haben will, erobern.

«Verhältnis von privat und öffentlich wird aufweichen»

Autonom unterwegs in einer Mercedes S-Klasse
Der S 500 Intelligent Drive Daimler

Autogazette: Wird es in 20 oder 30 Jahren für Sie den Verkehrsraum, die Stadt, wie wir sie kennen, überhaupt noch geben?

Mankowsky: Die Vision von der Stadt in 20 Jahren sieht so aus, dass sich das Verhältnis von privat und öffentlich, von innen und außen, aufweichen wird. Klingt abstrakt, ist es aber nicht: In den Innenstädten wird man sich dann zwar nur kleineren Wohnraum leisten können, aber das ist nicht so schlimm, weil man dann im öffentlichen Raum Orte zum Sitzen, Orte zum Verweilen findet. Hier trifft man dann andere Menschen, mit denen man sich austauschen kann. In den USA gibt es so etwas schon, dort heißt es Private Public Spaces.

Autogazette: Als Fahrer kann ich antizipieren, dass sich vor mir ein Fußgänger befindet und wie ich mich verhalten muss. Das autonom fahrende Auto kann das auch, weil es entsprechend programmiert wurde. Aber wer sagt mir denn, dass es moralisch-ethisch agiert?

Mankowsky: Ein Automat kann heute und in absehbarer Zeit keine ethischen Entscheidungen fällen. Ein Automat ist programmiert. Das Programm, das im Auto abläuft, wird nicht verändert werden. Selbstlernende Autos wird es vorerst nicht geben.

Autogazette: Ist das autonom fahrende Auto dann nicht unethisch?

Mankowsky: Ein autonomes Auto ist weder ethisch noch unethisch. Es ist ein Automat. In den Programmen ist festgelegt, wie es sich in den verschiedenen Situationen verhalten wird. So werden die potenziellen Unfallgegner ins Programm so einbezogen, dass sie viel besser auf das Auto reagieren können und Gefahren ausweichen, weil sie wissen, was es macht. Trotzdem wird es zu Unfällen kommen, die keiner vorhergesehen hat, auch nicht der Programmierer. Auch wenn es jetzt viel diskutiert wird: Der Programmierer weiß nicht, dass dort am Straßenrand ein zweijähriges Kind oder ein 80 Jahre alter Rentner steht.

Autogazette: Es werden also nur Objekte erkannt?

Mankowsky: Ja, für ihn sind es ausschließlich Objekte, die erkannt werden, die sich bewegen. Was es genau ist, weiß der Automat nicht. Er muss sich nur darauf verhalten, damit nichts passiert. Das heißt: Ich bremse radikal, um die Gefahr bereits im Vorfeld zu bannen. Wenn es ums Ausweichen geht, dann ist dies nur möglich, wenn damit kein anderer Verkehrsteilnehmer betroffen wird. Dazu muss man aber wissen, dass die Stelle, wohin ausgewichen wird, auch wirklich frei ist. Er kann das nur verantwortlich programmieren, wenn er weiß, dass die Stelle frei ist.

«Es gibt kein ethisches Dilemma»

Daimler arbeitet mit Nachdruck am Future Truck.
Daimler arbeitet auch an autonom fahrenden Lkw Daimler

Autogazette: Sie sehen also kein ethisches Dilemma durch autonom fahrende Fahrzeuge, trotz der skizzierten Probleme?

Mankowsky: Es gibt kein ethisches Dilemma. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass es jemals dazu kommen wird, dass das Auto zwar für ein zweijähriges Kind, aber nicht für einen 80-jährigen Rentner bremst. Wenn wir über moralisch-ethische Probleme reden, dann ist es ein Scheinproblem. Man muss sich nur die Frage stellen, was für ein solches Fahrzeug wirklich sichtbar ist. Doch bei jedem Unfall ist die Situation außer Kontrolle. Wenn man sich Dashcam-Videos von Unfällen anschaut, dann sind es keine sauberen Situationen, auf die zu reagieren ist. Auch eine Maschine hat diese Zeit nicht – sie muss sich entscheiden.

Autogazette: Gibt es keine kritischen Aspekte, die mit dem autonomen Fahren für sie einhergehen?

Mankowsky: Die Probleme beim autonomen Fahren liegen darin, dass eine Technologie entsteht, die verschiedene Automatismen in die Welt entlässt. Dabei sehe ich die Gefahren nicht in den einzelnen Fahrzeugen, wenn sie richtig miteinander kommunizieren, sondern bei Geräten, die das nicht tun, aber auch automatisch sind. Ferner sehe ich Gefahren in Gesamtsystemen, die ausgedacht werden, bei denen der Mensch aber nur ein Rädchen im Getriebe ist.

Das Interview mit Alexander Mankowsky führte Frank Mertens

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