50 Jahre Ami6: Citroens schräges Frauenzimmer

Nur zehn Jahre produziert

Sechs Jahre nach der Präsentation der „Göttin“ gab sich Citroen 1961 ganz weltlich. Der unförmige Ami6 hörte auf den Namen „das Fräulein“.

Von Markus Henrichs

Ein fast bis nach Paris zu hörendes Hallo hat es gegeben, als Citroen seinen deutschen Händlern im Juni 1961 erstmals sein neues Mittelklasse-Modell Ami6 vorgestellt hat. Denn es ist schon eine buchstäblich ganz schön schräge automobile "Freundin", die die Franzosen ihren Händlern da vorgesetzt haben. Und "Freundin" ist durchaus wörtlich zu verstehen. Denn wie schon bei der "göttlichen" DS, deren Spitzname sich ebenfalls aus der französischen Aussprache der Modellbezeichnung ableitet ("La déesse", die Göttin), spielen die Franzosen auch diesmal nicht nur mit Formen, sondern auch mit Worten: "L‘Ami Six" (wörtlich übersetzt: der "Freund sechs") hört sich ausgesprochen an wie "la Missis", zu deutsch: "das Fräulein".

Zwischen DS und 2CV

Und dieses französische Fräuleinwunder hat es ganz schön in sich. Was heute aufgrund des waghalsig konstruierten Glashauses mit seinem weit nach hinten ausgestellten "Regendächlein" auf den ersten Blick zum Schmunzeln anregt, hat die Kreativität der Ingenieure damals auf eine ernste Probe gestellt. Denn die Anforderungen, die Generaldirektor Pierre Bercot seinen Entwicklern seinerzeit ins Pflichtenheft geschrieben hatte, waren schon recht anspruchsvoll gewesen: ein Auto zu konstruieren, mit einem großen Kofferraum, Komfort für alle Mitfahrer, komprimiert auf maximal vier Metern Fahrzeuglänge - und das alles, wenn möglich, ohne einen Kombi zu bauen.

Die Antwort der Entwickler: der Ami6. Als neuer Vertreter der Mittelklasse sollte das intern "Projekt M" genannte Auto die Lücke zwischen der Oberklasse-Limousine Citroen DS mit seiner hydropneumatischen Federung und dem hierzulande als "Ente" oder 2CV bekannten "Volkswagen" der Franzosen schließen, der seit 1949 gebaut wurde. Technisch betrachtet ist das "Fräulein" aber alles andere als ein Wunder, sondern ein Mittelding aus beiden Modellen. Experimentieren die Entwickler anfangs noch mit einer abgespeckten DS als technischer Basis, entschließen sie sich aus Kostengründen bald, auf den robusten und alltagsbewährten 2CV als Plattform zurückzugreifen, allein schon um die Längenvorgabe erfüllen zu können.

Designer Bertoni am Werk

Gewagtes Design des Citroen Ami6 Citroen

Das gewagte Design mit der "falsch herum" geneigten Heckscheibe steuert der italienische Design-Künstler Flaminio Bertoni bei, welcher schon der DS und der "Ente" ihre Formen gab. Der aus dem 2CV bekannte luftgekühlte 0,6-Liter-Zweizylinder-Boxermotor wird für den Ami6 auf knapp 15 kW/21 PS gesteigert. Um mit dem gestiegenen Fahrzeuggewicht mithalten zu können, muss die Federung verstärkt werden.

Auch die Fliehkraftkupplung wird der stärkeren Motorleistung angepasst. In Sachen Interieur hat man dagegen am Citroen DS angeknüpft. Gewöhnungsbedürftig sind nicht nur die Optik, sondern auch Details wie der Schließmechanismus des Kofferraums, der sich anfangs nur recht umständlich von innen öffnen lässt, nämlich über einen Seilzug am Innenbereich der Rücksitzbank.

Sonderausstellung in Speyer

Die Revolverschaltung fand auch im Citroen Ami6 Anwendung Citroen

In Frankreich avanciert der Ami6 nur fünf Jahre nach seinem Start mit rund 180.000 verkauften Einheiten im Jahr 1966 zum meistverkauften Auto der Nation. In Deutschland werden insgesamt 10.000, weltweit mehr als eine Million Ami6 zugelassen, ehe die Produktion 1971 eingestellt wird. Schade, dass man heute so herrlich schräge Modelle im global funktionierenden, automobilen Modellangebot der Kompaktklässler und Fließhecklimousinen vergeblich sucht.

Das meinen offenbar auch die Macher des Technik-Museums Speyer. Dem Ami6 haben sie eine Sonderausstellung gewidmet, die bis zum 16. Oktober 2011 zu sehen ist. Flankiert wird das Automobil gewordene "Fräuleinwunder" von historischen Citroen-Modellen und Designstudien der Marke aus den 50er und 60er Jahren. (mid)

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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