Der Chevrolet Orlando ist mit dem 163 PS starken Dieselmotor für lange Strecken gemacht. In der Großstadt müssen dafür Kompromisse eingegangen werden.
Von Benjamin Palm
Der wilde Westen lebt in jedem amerikanischen Auto erneut auf. Groß und wuchtig muss es sein, um den Widrigkeiten dieser Welt zu trotzen. Der Chevrolet Orlando passt äußerlich somit voll ins Klischee. Auch der kräftige Dieselmotor zu Preisen ab 24.790 Euro unterstreicht diesen unbändigen Charakter.
Sieben Sitze serienmäßig
Statt durch den Wüstensand schiebt der 4,65 Meter lange Chevrolet sein bulliges Bug mittlerweile durch die Betonschluchten moderner Großstädte. Die gewaltige Motorhaube und die fast schon eckig wirkenden Radkästen flößen den flanierenden Damen, aber auch den raubeinigen Großstadtjungs zumindest Respekt ein, ja sogar Furcht. Das große Heck wirkt daneben fast schon bescheiden. Doch wie einst zu Zeiten der Indianer ist bekanntlich der erste Eindruck entscheidend: Das markante Design schreckt potenzielle Feinde ab. Doch hinter der harten Schale steckt auch nur ein weicher Kern.
Als einsamer Cowboy in den Sonnenuntergang "reitet" man mit dem Orlando garantiert nicht. Serienmäßig sieben Sitze lassen Spielraum für Familie und Kumpane. Die ersten beiden Sitzreihen warten mit großzügigen Platzverhältnissen auf, die selbst die etwas fülligere Molly aus dem örtlichen Saloon zufriedenstellt. In Sitzreihe drei sieht es naturgemäß anders aus: Der Sitzkomfort ist dürftig, die Beinfreiheit arg beschnitten. Entweder die kurzbeinigen Kinder oder diejenigen, denen der Fahrer immer schon eins auswischen wollte, verbannt er deshalb über die umgeklappte zweite Sitzreihe nach ganz hinten. Des einen Freud ist des anderen Leid: Auf kurzen und mittleren Distanzen ist der Fahrkomfort durchaus ertragbar.
Übersichtliche Armaturen
Über den ausklappbaren Panoramaspiegel unter dem eigentlichen Rückspiegel kann der Fahrer von seinem recht harten Sitzpolster aus stets einen Blick auf die Fondpassagiere werfen. Unpässlichkeiten werden ebenso entdeckt wie das Fratzenschneiden der Kleinsten. Übersichtlich für den Steuermann sind auch die verhältnismäßig großen Tasten, Knöpfe und Schalter. Die von der Schwestermarke Opel stammenden Bedienelemente sind funktional und können ohne viel Vorwissen genutzt werden. Die Hartschalen am Armaturenbrett wirken da wie unpassende Überbleibsel längst vergangener Tage.
Für die persönliche Habe bieten die trickreichen Ablagefächer genügend Stauraum. Neben Taschen in den Türen und an der Rückseite der Vordersitze gibt es zwischen diesen ein Fach quasi mit Kindersicherung. Der ausziehbare Deckel muss zum Öffnen gedrückt und anschließend gezogen werden, ansonsten kommt man nicht an den Inhalt. Auch das nach oben wegklappbare Radio-Bedienteil gibt ein Geheimfach frei: Neben dem USB-Anschluss lassen sich dort kleine Gegenstände platzieren. Wem das nicht reicht, der muss den Kofferraum nutzen. Voll bestuhlt gibt er spärliche 89 Liter Stauvolumen frei. Ansonsten reichen die standardmäßigen 458 Liter für Koffer, Einkäufe und Postsäcke, wenn sie über die hohe Ladekante gehievt werden. Wird auch die zweite Sitzreihe weggeklappt, passt gar das große Whiskey-Fass oder die 1,80 Meter lange Veranda-Garnitur hinein.
Sieben Liter nicht einzuhalten
Ist alles an Bord, kann die Fahrt losgehen. Ideal für Prärie und lange Urlaubstouren ist der größte Dieselmotor im Sortiment. Beatmet durch einen Turbolader leistet der 2,0-Liter-Vierzylinder 120 kW/163 PS. Im Stadtalltag bedarf es allerdings ein wenig Geduld. Der leer rund 1,6 Tonnen schwere Koloss startet gemütlich von der Ampel oder aus der Parklücke. Die Fünf-Stufen-Automatik wechselt die Gänge, wobei sich ein echter Cowboy gern Schaltwippen für schnelleres Hoch- respektive Zurückschalten wünscht. Das Triebwerk arbeitet gleichmäßig, wenn auch beim Motorstart leichte Vibrationen im Lenkrad spürbar sind und sich die Geräuschkulisse ab Tempo 100 zusehends hochschraubt.
Die genormten 7,0 Liter Diesel auf 100 Kilometern werden selbst bei äußerst zurückhaltender Fahrweise überschritten. Gibt man dem Ami die Sporen, steigt der Spritdurst schnell auf zweistellige Werte. Die nicht angebotene Start-Stopp-Automatik könnte da den Verbrauch in der Stadt schmälern.
Straff gefedert
Mehr Gefühl wünscht sich der Fahrer von der Lenkung: Was bei der langen Reise kaum ins Gewicht fällt, schlägt im Stadtverkehr und beim Einparken doppelt schwer zu Buche. Beim Fahrwerk kommen vorn McPherson-Federbeine zum Einsatz, hinten arbeitet eine zum Poltern neigende Verbundlenkerachse. Insgesamt ist der auf der Kompaktlimousine Chevrolet Cruze basierende Orlando relativ straff gefedert. Die Folge: Den Schlaglochparcours bekommen die Insassen zu spüren.
Den wilden Westen können Autofahrer mit dem Chevrolet Orlando erleben. Viel Platz und markantes Aussehen treffen auf einen verhältnismäßig günstigen Preis. Hinzu kommen serienmäßig unter anderem sechs Airbags, ESP, ein Navigationsgerät und eine Klimaanlage sowie eine Sitzheizung, falls die Nächte in der städtischen Wildnis mal kühler sind. Über einzelne Schwächen kann man da getrost hinwegsehen. Hinter jedem wilden Auftritt steckt eben doch nur das Bedürfnis nach Liebe, ein weicher Kern halt. (mid)