Bislang war es für Cadillac ein erfolgloses Unterfangen, in Europa die Kundinnen und Kunden von seinen Modellen zu überzeugen. Mit dem Lyriq soll das endlich gelingen.
General Motor bringt Cadillac nach über sieben Jahren Abstinenz zurück nach Europa. Nicht zum ersten Mal versuchen die Amerikaner, ins immer noch von deutschen Herstellern dominierte Luxussegment einzudringen, den vorherigen Versuchen war jeweils wenig Erfolg beschieden. Richten soll es jetzt zunächst ein elektrische angetriebenes SUV der Oberklasse zum Grundpreis von 79.000 Euro.
Der Lyriq kommt mit typisch amerikanischen Abmessungen: 5 Meter lang und schon ohne Außenspiegel fast 2 Meter breit (mit: 2,21 Meter) bietet der Elektriker viel Platz auf allen fünf Sitzen und ein gar nicht so imposantes Kofferraumvolumen von 588 Litern, das bei Verzicht auf Fondpassagiere aber auf bis zu knapp 1.690 Liter erweitert werden kann. Einen Frunk für die Kabel gibt es leider nicht. Die Maße dürften nicht jedermann Sache sein, in der Stadt, vor allem in engeren Straßen, in Parkhäusern oder auch beim Rangieren würde man in manchen Situationen gerne auf ein paar Zentimeter in der Länge und in der Breite verzichten.
Spracherkennung noch nicht optimal
Doch dies darf man dem Lyriq nicht zum Vorwurf machen, denn es gilt letztlich auch für ähnlich große Konkurrenten vom Schlage etwa eines Audi Q8. Den vor allem deutschen Wettbewerbern voraus hat der Amerikaner nicht nur den etwas günstigeren Preis, das Fahrzeug ist dann auch schon komplett ausgestattet. Zum Beispiel mit dem modernen Cockpit, das von einem 33-Zoll-Screen dominiert wird und sich vom Fahrer aus bis weit in die Mitte streckt.
Anders als etwa Tesla hat Cadillac aber nicht den Fehler gemacht, die Bedienung allein über den Touchscreen laufen zu lassen. Das geht natürlich, aber es gibt auch einen Dreh-Drück-Steller in der Mittelkonsole, eine allerdings nur leidlich funktionierende Spracherkennung und zudem lassen sich einige Funktionen übers Lenkrad ansteuern.
Einen ähnlichen Mix aus modernen und konservativeren Akzenten gibt es auch bei den Materialien. Glänzende Metallteile mischen sich mit offenporigem Holz an den Türverkleidungen und der Mittelkonsole. Die Verarbeitung wirkt gediegen, allerdings ist auch nicht zu übersehen, dass der Lyriq zwar erst seit Sommer 2024 in Deutschland erhältlich ist, aber in den USA schon seit Mai 2022 angeboten wird, mithin also kein wirklich „frisches“ Auto ist. Optisch überrascht der Elektriker trotz seiner gewaltigen Abmessungen und großer 21-Zoll-Räder mit einer harmonischen, schwungvollen Linienführung, die ihren Abschluss in einem auffälligen Heck mit allerdings leider sehr schmaler Rückscheibe mündet. Vorne dominiert ein mächtiger, dank E-Antrieb geschlossener Kühlergrill der links und rechts von zwei auffälligen, senkrechten Leuchten flankiert wird.
Kraftvoller Antritt dank 610 Nm Drehmoment
Wenig auszusetzen gibt es an den Fahreigenschaften des Lyriq. Die beiden starken E-Motoren bringen zusammen 528 PS und 610 Newtonmeter Drehmoment auf die Straße und haben mit dem immerhin über 2,6 Tonnen wiegenden Schwergewicht wenig Probleme. Wer will, ist nach 5,3 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100. Positiv überrascht, dass Cadillac das SUV nicht bei 160 oder 180 km/h abregelt, sondern Geschwindigkeiten bis 210 km/h zulässt. Wie immer gilt: Allzu lange sollte man das nicht austesten, sonst schmilzt die Reichweite sehr schnell zusammen. Die versprochenen, ohnehin nicht sehr üppigen 530 Kilometer waren für uns natürlich nicht zu erreichen, wir schafften mit einer Voll-Ladung 390 Kilometer, schätzen aber, dass bei sehr zurückhaltender Fahrweise 420 bis 430 Kilometer möglich sind.
Trotz seiner Leistungsstärke und der sportlichen Leistungswerte passt eine entspannte Fahrweise sowieso viel besser zum Lyriq als schnelle Ampelstarts oder sehr schnelle gefahrene Autobahnetappen. Das komfortable Fahrwerk schluckt die Probleme selbst mit Flicken und Löcher gespickter Straßen souverän weg. Die üppigen Sitze scheinen durchaus langstreckentauglich zu sein, auch wenn wir dies in diesem kurzen Testzeitraum nicht ausprobieren konnten.
Zwei Ausstattungslinien im Angebot
Bei den Optionen macht es Cadillac Interessierten sehr einfach. Den Lyriq gibt es ausschließlich in den beiden gleichteuren Linien Luxury und Sport, mit optischen Unterschieden bei den Zierleisten, am Kühlergrill und dem Design der 21-Zoll-Felgen. Zudem stehen zwei Interieur-Varianten mit hellbraunem oder grauem Nappaleder zur Wahl, die mit dunklen Echtholzeinlagen in der Mittelkonsole kombiniert werden. Einzige aufpreispflichtig Extras sind ausgewählte Lackierungen sowie ein Dachträgersystem.
Zur Serienausstattung zählt auch ein sehr hochwertiges AKG-Soundsystem mit 19 Lautsprechern, inklusive Kopfstützenlautsprecher. Hinzu kommen elektrisch verstellbare Nappaleder-Sitze mit Heiz- und Belüftungsfunktion sowie Massagefunktion für die Vordersitze, ein 360-Grad-Kamerasystem und das komplette Assistenten-Programm.
Unter Strich überrascht der Lyriq positiv. Der früher größte Nachteil amerikanischer Autos, deren hohen Praxisverbräuche, kommt im Elektrozeitalter nicht mehr so zur Geltung. Größter Nachteil des Fahrzeugs dürfte daher das arg dünne Händlernetz sein, hier muss Cadillac schnell nachbessern, um sein Klientel eher serviceverwöhnter Besserverdiener auch wirklich zu erreichen. (SP-X)