Supersportler sind eigentlich out. Doch das trifft nicht auf die BMW S 1000 RR. Nun haben die Bayern ihr Erfolgsmodell einer gründlichen Überarbeitung unterzogen.
Die Rennstrecke von Monteblanco, eine knappe Fahrstunde von Sevilla im Süden Spaniens gelegen, ist nass. Es hat die ganze Nacht geregnet. Zwar klart der Himmel vormittags auf, doch optimale Bedingungen zum Testen eines 200 PS starken Motorrads sehen anders aus. Weil der Asphalt sehr grobporig ist, entscheiden die BMW-Verantwortlichen, dass keine Spezialreifen aufgezogen werden, sondern die Serienreifen von Pirelli bleiben. „Der Grip ist sehr gut“, versichern sie.
Nach fünf Runden zum Kennenlernen des Kurses sind nicht wenige Tester erstaunt, als sie eine der neuen Funktionen des Instrumentendisplays inspizieren: „42 Grad Schräglage auf feuchtem Untergrund, und nie gab es einen Moment der Unsicherheit“, wird gestaunt. Die elektronischen Heinzelmännchen im Regen-Fahrmodus haben ganze Arbeit geleistet. Die bayerische Rakete S 1000RR, für 2015 grundlegend erneuert, bleibt stets auf Kurs.
BMW S 1000 RR 50.000 Einheiten in fünf Jahren
Fünf Jahre ist die BMW S 1000RR auf dem Markt. Einem Markt, dessen Volumen 2014 gegenüber dem von 2004 nahezu bedeutungslos erscheint, so sehr hat er sich reduziert. Supersportliche Bikes sind out. Aber eben nicht alle: Die BMW S 1000RR wurde in diesen fünf Jahren an die 50.000 Mal verkauft. Sport- und Rennfahrer auf allen Kontinenten sind auf sie abgeflogen, während die einst tonangebenden japanischen Superbikes den Anschluss verloren haben.
Nur Ducati hält mit seiner Panigale tapfer dagegen, und auch Aprilia müht sich mit seiner RSV4 noch um Kunden. Das bayerische Erfolgsbike grundlegend zu überarbeiten und auf den Stand von 2015 zu bringen, war in den letzten Jahren Aufgabe der BMW-Entwicklungsingenieure um Projektleiter Rudolf Schneider. Eine anspruchsvolle Aufgabe, denn die über fünf Jahre gereifte Superbike-Ikone sollte dabei ja nicht total umgekrempelt werden und auch als „typische RR“ erkennbar bleiben.
Schaltautomat Pro bietet noch mehr Fahrspaß
Das Erfolgsgeheimnis der BMW S 1000RR war es, die besten japanischen Tugenden aufgegriffen und durch die Vernetzung neuer elektronischer Regelsysteme getoppt zu haben. Bei dieser Vernetzung von Motorsteuerung, Traktionskontrolle und Antiblockiersystem ist BMW jetzt noch weiter gegangen: Wer das optionale semiaktive Fahrwerkssystem Dynamic Damping Control ordert, erhält die Möglichkeit, mit einem einzigen Tastendruck beispielsweise vom Programm Rain auf Sport oder Race umzuschalten; einmal den vollelektronisch gesteuerten Gasgriff zu schließen, genügt als Bestätigung.
Einen Sekundenbruchteil später reagiert der Motor völlig anders auf Gasbefehle, geben Wheelie-Kontrolle dem Vorderrad und Stoppie-Kontrolle dem Hinterrad etwas mehr Freiraum, lässt die Traktionskontrolle beim Beschleunigen aus Kurven heraus mehr Slide zu, und es verhärtet sich auch bei hartem Anbremsen von Kurven auf unebenem Asphalt die Dämpfung.
Den Fahrspaß auf die Spitze treibt der optional erhältliche Schaltautomat Pro, der sogar die Disziplin „Herunterschalten“ beherrscht. Keineswegs nur eine Komfortsteigerung für Weicheier, sondern eine sehr sinnvolle Maßnahme zur Erhaltung bester Fahrstabilität bei harten Anbremsmanövern, denn beide Hände können gleichermaßen stets die Lenkergriffe umschließen.
Stärkerer Motor
Es sind der technischen Merkmale zu viele, um sie im Rahmen dieses Fahreindrucks vollständig wiedergeben zu können. Besondere Bedeutung hat natürlich der Vierzylinder-Reihenmotor ein. Er ist minimal kräftiger geworden, so dass BMW statt bisher 193 PS nun 146 kW/199 PS angibt. Noch wichtiger erscheinen das gesteigerte Drehmoment ab etwa 5.000/min und das sehr vorteilhafte Drehmomentplateau zwischen 9.500 und 12.000 Kurbelwellenumdrehungen im Maximalbereich von über 112 Newtonmetern. Da stürmt die RR brutal vorwärts, so dass die Wheelie-Kontrolle selbst im dritten Gang noch gut beschäftigt ist. Dennoch ist der drehzahlorientiert ausgelegte Vierzylinder untenrum keineswegs kraftlos, im Gegenteil: Ohne Rucken und Mucken lassen sich Kurven auch zwei Gänge höher bewältigen, stets geht es beeindruckend vorwärts.
Sehr gute Arbeit unter allen nur anzunehmenden Bedingungen leisten die Assistenzsysteme; die in Monteblanco aufgezeichneten Daten lassen erkennen, das Bremsverzögerungen bis nahezu 12 m/sec² möglich sind und dabei immer noch wirksame Federwege zur Verfügung stehen. In Kurven werden (mit Serienreifen!) Schräglagen von bis zu 60° aufgezeichnet, mit Slicks sogar noch ein wenig mehr. Die bei Bedarf in 15 Stufen individuell konfigurierbare Traktionskontrolle regelt dabei nicht mehr übertragbare Beschleunigungskräfte feinfühlig weg, so dass die Fahrstabilität selbst im Extrembereich als ausgezeichnet beurteilt werden darf.
Vier Kilogramm abgespeckt
Noch 204 Kilogramm wiegt die fahrfertige Doppel-RR; sie hat damit vier Kilogramm verloren. Eine neue Auspuffanlage sowie allerlei Kleinarbeit hier und dort haben dies möglich gemacht. Das noch vor wenigen Jahren im Serienmotorradbau fast unmöglich gehaltene Leistungsverhältnis von einem Kilogramm pro PS ist damit Realität geworden. Fortschritte haben die Designer aber auch in der Aerodynamik und der Linienführung erzielt. Die nach wie vor asymmetrisch gezeichnete Front wirkt jetzt sympathischer, jedes einzelne Karosseriedetail unterscheidet sich positiv von der Vorversion.
Kritik an diesem supersportlich orientierten Bike ist nur Alltagsfahrern möglich; Sitzposition oder die Frage der Gepäckmitnahme sind auf die Bedürfnisse des Sportfahrers abgestimmt. Trotz klar verbesserter Eigenschaften auf der Rennstrecke bleiben der ab Januar 2015 im Handel erhältlichen S 1000RR sämtliche Fähigkeiten auf öffentlichen Straßen unverändert erhalten. Ihr Einsatzspektrum ist also breiter geworden. Und wie die Runden auf feuchter Strecke in Monteblanco gezeigt haben, ist die neue Doppel-R noch besser beherrschbar als das ohnehin schon vorbildliche Vormodell. Nach 30 Runden am Leistungslimit des Piloten ziehen wir den schützenden Helm und wähnen BMW gut gerüstet für den in wenigen Wochen bevorstehenden Angriff aus Fernost. Denn ewig wollen die früheren Dominatoren der Superbike-Klasse dem Treiben der Bayern nicht tatenlos zusehen. (SP-X)