Der Motorradhersteller BMW hat die R nineT Urban G/S zum neuen Modelljahr grundlegend überarbeitet. Es hat sich gelohnt, wie unser Test zeigt.
Das Triebwerk ist die bislang letzte Baustufe des Traditions-Boxermotors: Keine zusätzliche Wasserkühlung, keine variable Ventilsteuerung. Wie einst 1.170 Kubikzentimeter Hubraum, mittlerweile 109 PS. Das reicht für die 221 Kilogramm wiegende „Urban G/S“.
Ihre Fähigkeiten kann sie am besten auf asphaltiertem Untergrund demonstrieren: Geschmeidig fährt und federt sie, geräuschlos sortieren sich die Gänge, als gediegen und nicht mehr krawallig wird das mit sonorem Brummen ans Ohr dringende Motor- und Auspuffgeräusch empfunden.
Stark aus niedrigen Drehzahlen
Besonders gut in Szene setzt sich auch diese Spielart der R nineT-Reihe, wenn’s aus niedrigen Drehzahlen – wir sprechen von 1.500 oder 2.000 Touren – verschärft vorwärtsgehen soll: Weit hinter einer aktuellen GS mit immerhin 136 PS und allen technischen Schikanen liegt sie da nicht. Gut 200 km/h rennt sie bei Bedarf, und zwar ohne Wackler im Fahrwerk, auf Tempo 100 schafft sie es in 3,6 Sekunden – einmal Schalten zwischendrin genügt. Sie konsumiert maßvoll; mit knapp über fünf Litern kommt man 100 Kilometer weit, so dass wir dem 17 Liter-Tank einmal echte 355 Kilometer ohne Nachtanken entlocken konnten.
Besonderheit des Testbikes ist die Zugehörigkeit zur schwarz-gelb lackierten Jubiläumsedition „40 Years GS“. Es war nämlich die R 80 G/S (800 Kubik, 50 PS, 191 kg, fast 22 cm Bodenfreiheit), mit der 1980 BMWs seinerzeitiger Aufbruch in eine neue Zeit begonnen hatte. Hätte es die R 80 G/S nicht gegeben, würde BMW heute alleine von der Ur-Ur-Ur-Enkelin R 1250 GS nicht gut 50.000 Stück im Jahr bauen Im Grunde gebührt also der R nineT Urban G/S mit ihrer an die G/S erinnernden Lampenmaske die Ehre, auf die Urmutter aller Reiseenduros hinzuweisen.
Selbstbewusster Preis
In der von uns gefahrenen Ausstattung kostet die R nineT Urban G/S 18.415 Euro wovon 650 Euro auf das Comfortpaket entfallen. Dazu kommen noch ein paar weitere individuelle Ausstattungszuckerl. Aber wer will schon ohne Tempomat, Heizgriffe, adaptives Kurvenlicht und Diebstahlwarnanlage unterwegs sein. Die güldenen Kreuzspeichenräder, die gelben Handschützer, die Lampenmaske und allerlei andere Nettigkeiten sind bereits im Editionspreis von 16.200 Euro enthalten; „ohne alles“ steht die R nineT Urban G/S mit 13.750 Euro in der Preisliste.
Mit rotem Sitz, weiß-blau-rotem Tank, dem legendären „Schnabel“, Gummibälgen an der Telegabel, LED-Rundscheinwerfer, zwei Fahrmodi, einem schick gezeichneten Rundinstrument, USB-Ladebuchse, Alurädern und einem weniger schicken Einzelschalldämpfer. Aber auch schon mit dem ABS Pro und damit samt Kurven-ABS sowie mit Headlight Pro inklusive ikonischem, bestens wahrnehmbarem Tagfahrlicht. Den Offroad-Look machen freilich erst die Kreuzspeichenräder (435 Euro) perfekt; sie lassen sich natürlich auch mit stark profilierten Geländereifen besohlen.
Nette Optionsliste mit wenig Nutzwert
Wie man sich die Positionierung der R nineT Urban G/S in BMWs Marketingabteilung vorstellt, wird jedem klar, der sich die Optionsliste anschaut. Da gibt es jede Menge herrlich gemachter und deshalb schön anzusehender Teile, die allerdings nicht den geringsten Nutzwert aufweisen. Als Beispiele seien die Aluminium-Frästeile für die Zylinderhauben, den Lichtmaschinendeckel (vulgo „Heldenbrust“), die Öleinfüllschraube und den Sitzbankhalter genannt. Diese Teile sind als „Option 719 Frästeile-Paket Classic“ für 1.150 Euro zusammengefasst und zierten auch das Testfahrzeug. Sie, aber auch zahlreiche weitere Edelteile lassen die im Grunde dezent gestylte Urban G/S blitzartig zum Hingucker werden, denn sie sind nicht nur hochqualitativ gefertigt, sondern auch stimmig.
Natürlich sind die Begriffe „G/S“ und „Urban“ im Grunde unvereinbar; G/S-Fahrer von damals wollten und konnten sich mit ihr zum Ende der Welt aufmachen. Egal ob auf dem Weg dorthin Asphalt zu finden war oder auch nicht. Inzwischen ist das anders. Diese R nineT-Version ist mit vorne 12 und hinten gerade mal 14,5 Zentimetern Federweg keine G/S mehr und weist deshalb auch keine erwähnenswerte Enduro-Eignung auf. Sie ist ein reines Straßenbike, dessen Erscheinungsbild Anklänge an die Ikone G/S aufweist, ohne dass man damit im Gelände auch nur einen Meter weiter käme als mit jeder anderen R nineT.
Mehr Schein als Sein – zumindest zu Beginn
Sie ist ein auf den ersten Blick „Mehr-Scheinen-als-Sein“-Bike, knallt aber beim zweiten Blick mit unschuldigem Augenaufschlag die Charme-Karte mit solcher Wucht auf den Tisch, dass jeder Versuch einer Relativierung zum Scheitern verursacht ist.
Am Ende ist alles einfach: Entweder man mag die BMW R nineT Urban G/S so, wie sie ist, oder eben nicht. Für längere Reisen und grobes Geläuf gibt’s bei BMW Besseres als dieses Modell, aber ihre Qualitäten als Ausflugs-Motorrad und für den Kurzstreckenverkehr sind gewaltig. Insofern ist die Namensgebung der R nineT Urban G/S so falsch dann doch nicht. (SP-X)