Die Motorradbranche kämpft gegen die Kaufzurückhaltung der Kunden. Mit Crossover-Modellen hoffen die Hersteller im kommenden Jahr wieder mehr Kunden zu gewinnen. Die BMW R 1200 GS gilt dabei als Vorbild.
Von Werner Wagner
Lange hatte die Motorradindustrie nach einem Rezept gegen die Kaufzurückhaltung der Biker gesucht. Mal sollten Extremsportler mit Rekord-Leistungen die Interessenten zum Händler treiben, mal hubraumstarke Cruiser, mal tourentaugliche Maschinen. Den Stein der Weisen hat keiner gefunden, jede Modewelle ebbte nur zu schnell wieder ab, um sofort vom nächsten neu belebten Modellsegment abgelöst zu werden. Fürs kommende Jahr hat man sich darum auf Seiten der Hersteller offenbar darauf geeinigt, von allem etwas anzubieten, idealerweise vereint in einem Modell: 2012 wird zum Jahr der Crossover-Motorräder werden.
BMW R 1200 GS als Richtschnur
Die Branche orientiert sich dabei zuallererst an BMWs Erfolgsmodell R 1200 GS, das nicht nur hierzulande regelmäßig die Verkaufshitliste anführt. Seit Jahren fahren die Münchner mit diesem Crossover-Modell, welches die besten Eigenschaften einer Enduro und eines Tourers vereint und darüber hinaus durchaus flott bewegt werden kann, hervorragende Verkaufszahlen ein.
Von diesem großen Kuchen wollen sich nun auch Triumph mit der 101 kW/137 PS starken Tiger Explorer,Kawasaki mit der Versys 1000 und Honda mit der VFR 1200 X Crosstourer ein ordentliches Stück abschneiden. So kommt es, dass der Kunde in der neuen Saison nunmehr unter sage und schreibe elf reisetauglichen Großenduros wählen kann, die ihm von allem etwas bieten.
Superlative sucht man bei den Allroundern erfahrungsgemäß vergeblich, dafür sind die Spezialisten zuständig. Und die enttäuschen auch 2012 nicht. Kawasaki hat nach eigenen Angaben mit der überarbeiteten ZZR 1400, deren Vierzylinder stolze 147 kW/200 PS leistet, das Serienmotorrad mit der weltbesten Beschleunigung.
Rekordverdächtige Ducati
Rekordverdächtig ist auch das Verhältnis von Leistung (143 kW/195 PS) und Gewicht (192 Kilogramm vollgetankt) der neuen Ducati 1199 Panigale, die das Zeug hat, zur neuen Ikone der Supersportklasse zu werden. Die Mitbewerber wollen dieses prestigeträchtige Segment natürlich nicht kampflos der Italienerin überlassen. BMW hat mit der S 1000 RR, Honda mit der Fireblade, Suzuki mit der GSX-R 1000 und Yamaha mit seiner YZF-R1 für die neue Saison ihre sportlichen Aushängeschilder überarbeitet.
Weniger Superlative, dafür aber erfreulich viele interessante und durchaus bezahlbare Neuheiten bietet in der kommenden Saison die Mittelklasse. Honda hat einen neuen, 35 kW/48 PS starken Zweizylindermotor entwickelt, der in den zwei NC-700-Versionen S (5490 Euro) und X (5990 Euro) eingebaut wird und obendrein auch noch den Roller Integra 700 antreibt. Im preisgünstigeren Bereich angesiedelt sind auch die beiden überarbeiteten Kawasaki-Modelle ER-6n und deren verkleidete Schwester ER-6f (6 995 und 7 495 Euro). Aus Italien kommen dagegen bemerkenswerte, aber etwas teurere Neuheiten.
Moto Guzzi präsentiert von der neuen V7 (38 kW/51 PS) gleich noch drei weitere Versionen, die V7 Special, die V7 Racer und die Nevada 750, während Ducati mit der Streetfighter 848 nun eine kleine Schwester für die Streetfighter S (1 099 ccm) ins Programm aufnimmt. Ähnlich verfährt MV Agusta. Die Dreizylindermodelle Brutale 675 und F3 runden die Modellpalette nach unten ab und werden bestimmt nicht nur Einsteigern gefallen. Die neue KTM 690 Duke ersetzt dagegen schlicht und einfach das Vorgängermodell, gehört aber zu den wichtigsten Bikes im Sortiment des österreichischen Herstellers.
KTM Duke 200 für Einsteiger
Auch bei den ganz kleinen Motorrädern tut sich etwas: KTM bringt mit der Duke 200 die logische Erweiterung der Einsteigerpalette und will mit der Freeride 350 Fahrer anderer Marken zum Wechsel bewegen. Nachdem Honda, Kawasaki und Yamaha in den letzten Jahren bereits unterschiedliche Modelle mit einem Viertelliter-Hubraum präsentiert hatten, haben nun Interessenten plötzlich eine echte Wahl unter den kleinen Flitzern.
Von allen modischen Strömungen im Zweiradsektor nahezu unberührt scheint der Dinosaurier Harley-Davidson zu sein. Doch das täuscht: Sechs neue Modelle stehen für 2012 bereit, längst eilt die moderne Technik der konservativen Optik voraus und auch ABS ist fast für die gesamte Modellpalette erhältlich. Den Käufern scheint es zu gefallen, denn die US-Traditionsmarke gehörte in den letzten Jahren zu den Gewinnern am Markt. Von einer derart starken Stellung ist Hersteller Victory, der im Vorjahr hierzulande sein Debüt feierte, noch weit entfernt, aber mit der neuen, 12 690 Euro teuren Vegas High Ball als Einstiegsmodell könnte sich die Marke neue Käufer erschließen.
Horex hinkt Zeitplan hinterher
Einen großen Schritt wagen 2012 gleich zwei Hersteller: Die wiederbelebte Traditionsmarke Horex hinkt ihrem ehrgeizigen Zeitplan ein wenig hinterher und will nun - statt wie vorgesehen im Herbst 2011 - im Frühjahr 2012 ihr erstes Modell mit dem V6-Motor präsentieren, allerdings erst einmal ohne den spektakulären Kompressor. Aber auch so dürfte das 118 kW/160 PS starke Bike für genug Aufsehen sorgen. Einen Schritt weiter ist Husqvarna, denn die beiden unter BMW-Ägide entstandenen Straßenmodelle Nuda 900 und 900 R wurden bereits in fahrfertigem Zustand vorgestellt und sollen im Frühjahr beim Händler stehen.
Eher ruhig scheint das kommende Motorradjahr für die Hersteller von E-Bikes zu beginnen. Derzeit ist keine spektakuläre Neuheit angekündigt. Das größte Angebot auf dem deutschen Markt hat der US-Hersteller Zero, der vor allem daran arbeitet, die Ladekapazitäten und -zeiten der Akkus zu verbessern. Bislang taugen die emmissionsneutralen Zweiräder nur für Kurzstrecken im Stadtverkehr. Reichweiten jenseits von 100 Kilometern bleiben derzeit ein unerfüllbarer Traum. (mid)