Als die BMW F 800 GS 2007 auf den Markt kam, stellte sie ein unübersehbares Ausrufezeichen dar. Innerhalb kürzester Zeit wurde das Motorrad zum Sinnbild der Mittelklasse-Reiseenduro.
Damals war der Markt in diesem Segment freilich noch vergleichsweise unentwickelt; die Triumph Tiger 800 gab es noch nicht, die Fans der verblichenen Honda Africa Twin warteten (bis 2016 vergeblich) auf ein Nachfolgemodell.
Jetzt, Anfang 2018, ist alles anders: Die neue Honda Africa Twin hat sich als Tausender am Markt etabliert und verkauft sich wie „geschnitten Brot“, die ebenfalls 95 PS leistende Tiger 800 hat bereits die zweite Überarbeitung erfahren. Zudem gibt es die inzwischen ansehnliche Suzuki V-Strom 1000 XT. Höchste Zeit also für BMW, eine Neuauflage der F 800 GS zu bringen, um nicht hoffnungslos Boden zu verlieren.
Im Mai 2018 ist es endlich soweit: Die F 850 GS rollt zu den Händlern und zeigt mit ihrer Möglichkeit zur elektronischen Vollausstattung, dass BMW den vor einigen Jahren gewonnenen Boden nicht kampflos an die Wettbewerber preisgeben will.
Bei der BMW F 800 GS ist alles neu
„Bis auf ein paar Schrauben ist an der F 850 GS wirklich alles neu“, versichert Projektleiter Florian Schmidt bei der Fahrpräsentation im durchnässten andalusischen Màlaga. Der Zweizylinder-Reihenmotor ist ebenso komplett neu entwickelt wie Rahmen, Radaufhängungen, Bremsen und Elektronik-Ausstattung. Beim Triebwerk handelt es sich um einen Reihen-Zweizylinder mit Hubzapfenversatz, was den Motor so wirken lässt, als wäre es ein V2. Die Maximalleistung von 95 PS/70 KW wird bei moderaten 8200 U/min. erzielt, das maximale Drehmoment von stattlichen 92 Newtonmetern liegt schon bei 6200 U/min. an.
Das Triebwerk zeigt sich zugleich durchzugsstark wie drehwillig und auch laufruhig. Mit 4,1 Litern Benzin auf 100 Kilometer laut neuem WMTC-Verbrauchszyklus fällt zudem der Spritkonsum sehr gering aus; er dürfte sich im gemischten Betrieb problemlos realisieren lassen. Die bemerkenswerte Drehfreude des Motors trägt bei der F 850 GS nicht unerheblich zum ausgeprägten Fahrspaß der Achtfünfziger bei; aus Kehren stürmt sie nahezu in gleicher Manier heraus wie eine 1200 GS.
Mehrgewicht von zwölf Kilo
Das Mehrgewicht von zwölf Kilogramm gegenüber der zuletzt gebauten Version der F 800 GS wird von den Entwicklern nicht nur durch die Euro 4-konforme Auspuffanlage begründet, sondern findet sich auch am stählernen Rahmen. „Das Motorrad ist stärker motorisiert und damit schneller und stellt deshalb höhere Ansprüche an die Fahrstabilität“, nennt Florian Schmidt als Begründung.
Auch die Montage der edlen Kreuzspeichenräder, die nun die Verwendung schlauchloser Reifen ermöglichen, schlägt sich auf der Waage nieder, die nun ein Leergewicht von 229 Kilogramm anzeigt. Die Zuladung beträgt stattliche 216 Kilogramm. Die Agilität der F 850 GS leidet unter den Zusatzpfunden nicht fühlbar: Die Entwickler achteten konsequent auf einen niedrigen Schwerpunkt und eine ausgeglichene Gewichtsverteilung von Vorder- und Hinterrad; deshalb wanderte der Tank beispielsweise wieder an seine angestammte Stelle.
Auch offroad verhält sich die Achtfünfziger mit ihrem 21 Zoll-Vorderrad und mehr als 20 Zentimetern Federweg vorbildlich; im Kreis der Wettbewerber sehen wir sie absolut in der Spitzengruppe
Basis mit Anti-Schlupfkontrolle
Das gilt noch mehr für die Elektronik-Ausstattung. Serienmäßig wird allerdings nur ein Teil des Möglichen geliefert, vieles ist nur als Sonderausstattung erhältlich. Zur Basisausstattung zählen neben einer Antihopping-Kupplung und den Fahrmodi Rain, Road und Enduro auch eine Antischlupf-Kontrolle. Kostenpflichtig sind „Fahrmodi Pro“ (umfasst u.a. den Fahrmodus Dynamic sowie den speziellen Enduro-Pro-Modus, eine dynamische Traktionskontrolle, ABS-Pro mit Kurvenbremsfunktion sowie Flacker-Bremslicht für Notsituationen), der gut funktionierende Zweiwege-Quickshifter für kupplungsloses Hinauf- und Herunterschalten, das LED-Licht und auch das neue TFT-Farbdisplay.
Es stellt in punkto Ablesbarkeit nach unserer Ansicht das derzeitige Nonplusultra am Markt dar: Selbst bei direkter Sonneneinstrahlung und auch beim Fahren im Stehen ist die Ablesbarkeit perfekt. Die klare Struktur des Displays wie auch die Ansteuerung der Bordcomputer-Funktionen empfinden wir als hundertprozentig gelungen, wobei der links am Lenker montierte Multi-Controller eine wesentliche Rolle spielt.
Natürlich sind die heutzutage unerlässlich scheinenden Connectivity-Funktionen ins Display integriert. Aufpreispflichtig ist auch die semiaktive Ansteuerung des Zentralfederbeins samt automatisierter Einstellung der Feder-Vorspannung. Die Funktion der genannten Elemente ist gut; der von Florian Schmidt mit „Preis-Überlegungen“ begründete Verzicht auf eine semiaktive Vorderrad-Regelung an der 4,3 cm-USD-Gabel macht sich in der Praxis nicht negativ bemerkbar.
Gute Ergonomie der Reiseenduro
Weil sich auch die Ergonomie der BMW F 850 GS sowohl on- wie offroad beim Fahren im Stehen sehr ausgefeilt darstellt, kommt man nicht umhin, BMWs formaler Mittelklasse-GS zumindest in Vollausstattung Oberklasse-Qualitäten zu bescheinigen; 217 km/h Höchstgeschwindigkeit sowie eine Beschleunigung unter vier Sekunden von null auf 100 km/h erreichen zwar nicht das Niveau der 160 PS-Boliden aus Mattighofen und Bologna, dafür liegen aber das Gewicht wie auch Handlichkeit und Agilität auf einem sehr erfreulichen Niveau.
Ob das auch für den Preis der F 850 GS gelten wird, ist noch nicht klar, denn BMW hat noch keine Preise veröffentlicht. Man weiß nur, dass es drei Farben bzw. Ausstattungslinien geben wird: Rot, Rallye (weiß/rot/blau) und Exclusive (mattgrau-metallic). Die Karten in der Reiseenduro-Mittelklasse (knapp unter 100 PS) werden also neu gemischt. Zu beachten ist dabei für jene, die keine Offroad-Ambitionen haben, sicherlich auch die neue BMW F 750 GS; mit ihrem nur 19 Zoll messenden Vorderrad dürfte sie in punkto Handlichkeit auf Asphalt sogar leicht in Front liegen. (SP-X)