Audi, Mercedes und BMW liefern sich ein Rennen um die Führung beim autonomen Fahren. Im Interview mit der Autogazette spricht BMW-Entwicklungsvorstand Herbert Diess über Google, technische Erfordernisse und darüber, weshalb vollautonome Autos zunächst nur etwas für die Autobahn sind.
BMW-Entwicklungsvorstand Herbert Diess hat die Arbeiten von Google zum hochautomatisierten Fahren als wertvoll bezeichnet. Doch «die BMW Group hat eine andere Vision zum autonomen Fahren, die mehr auf die Bedürfnisse unserer Kunden abzielt», sagte Diess im Interview mit der Autogazette. «Wir wollen ihn in anstrengenden oder unangenehmen Fahrsituationen unterstützen – beim Stop-and-Go, im Stau, bei monotonen Autobahnfahrten mit Geschwindigkeitsbegrenzung oder auch beim Einparken in unübersichtlichen Parkhäusern.»
«Gefährliche Situationen werden gemeistert»
BMW geht es deshalb darum, den Kunden ein «noch sichereres, entspannteres Fahren» anzubieten. «Wir arbeiten deshalb seit vielen Jahren am hochautomatisierten Fahren im kundenrelevanten Bereich.» Diess kann sich den Einsatz von hochautomatisierten Fahrzeugen nach dem Jahr 2020 vorstellen. «Das ist aber nicht unser Kernziel. Jahr für Jahr werden sich die Fähigkeiten des Fahrzeugs zur Unterstützung des Fahrers weiter verbessern. Immer mehr sicherheitskritische, schwierige oder ermüdende – und damit gefährliche – Situationen werden vom Fahrzeug gemeistert oder unterstützt», so der Entwicklungsvorstand.
«Freude am Fahren steht im Vordergrund»
Autogazette: Herr Diess, Google-Chef Sergey Brin ließ unlängst wissen, dass man einen Produktionspartner für sein autonom fahrendes Auto sucht? Haben Sie ihn schon angerufen?
Herbert Diess: Über unser Technology Office in Mountain View sind wir nicht nur mit Google, sondern mit vielen weiteren Key Playern aus dem Silicon Valley im stetigen Austausch. Dies ist für uns enorm wichtig, um Innovationen auch aus dem Non-Automotive-Bereich so schnell wie möglich ins Fahrzeug zu bringen. Unsere Produktionskapazitäten benötigen wir, um das eigene Wachstum abzubilden.
Autogazette: Google hat kürzlich sein autonom fahrendes Auto vorgestellt, dass ohne Brems- und Gaspedal auskommt. Ist der IT-Gigant mit der Technologie seines Fahrzeugs bereits weiter als die Autobauer?
Diess: Die Arbeiten von Google zum hochautomatisierten Fahren sind wertvoll, weil so das Thema in seiner Bekanntheit vorangetrieben wird. Die BMW Group hat eine andere Vision zum autonomen Fahren, die mehr auf die Bedürfnisse unserer Kunden abzielt. Die Freude am Fahren steht bei unseren Kunden an erster Stelle. Wir wollen ihn in anstrengenden oder unangenehmen Fahrsituationen unterstützen – beim Stop-and-Go, im Stau, bei monotonen Autobahnfahrten mit Geschwindigkeitsbegrenzung oder auch beim Einparken in unübersichtlichen Parkhäusern. Ein insgesamt noch sichereres, entspannteres Fahren ist das Ziel. Wir arbeiten deshalb seit vielen Jahren am hochautomatisierten Fahren im kundenrelevanten Bereich.
«Seit Mitte 2011 fahren wir hochautomatisiert»
Autogazette: Wann haben Sie mit der Forschung begonnen?
Diess: Begonnen haben wir unsere Forschungsarbeiten dazu Anfang 2000. Mit dem BMW TrackTrainer wurde 2006 erstmalig ein System vorgestellt, das den Fahrer an die Ideallinie einer Rennstrecke heranführt. Im Jahr 2009 haben wir im Rahmen des Förderprojekts «Smart Senior» den BMW Nothalteassistenten präsentiert, welcher bei einem gesundheitlich bedingten Notfall in einen automatisierten Fahrmodus wechselt und ein abgesichertes Nothaltemanöver durchführt.
Autogazette: Und seit wann sind Sie bereits autonom unterwegs?
Diess: Seit Mitte 2011 fahren wir mit unseren Forschungsprototypen nun schon hochautomatisiert auf der Autobahn, und zwar mit 130 km/h. Unser nächstes großes Ziel ist die Erprobung hochautomatisierter Fahrfunktionen auch auf europäischen Autobahnen mit all ihren Herausforderungen – also durch Mautstellen, Baustellen und über Ländergrenzen hinweg. In der Serie fahren wir mit dem Stauassistenten bis 60km/h mit Längs- und Querführung. Auch automatische Einparkmanöver werden immer komfortabler.
Autogazette: Gibt es etwas, was Google besser macht als Sie?
Diess: Als eines der größten IT-Unternehmen weltweit hat Google enorme Reichweite und schafft es so, das hochautomatisierte Fahren in der externen Wahrnehmung weiter voranzutreiben. Dies kommt allen Beteiligten zugute, denn so wird die Bekanntheit für das Thema weiter gesteigert.
«Fahrassistenzsysteme modellübergreifend erhältlich»
Autogazette: Wie müssen wir uns im Jahr 2020 das Autofahren in einem BMW vorstellen, bereits autonom.
Diess: Bitte lassen Sie mich zunächst die offizielle Definition der Automatisierungsgrade der Bundesanstalt für Straßenwesen erläutern: 1. Driver only: Der Fahrer führt dauerhaft - während der gesamten Fahrt - die Quer- und die Längsführung aus. 2. Assistiert: Der Fahrer führt dauerhaft entweder die Quer- oder die Längsführung aus. Die jeweils andere Aufgabe wird in gewissen Grenzen vom System ausgeführt. Der Fahrer muss das System dauerhaft überwachen. Er muss jederzeit zur vollständigen Übernahme der Fahrzeugführung bereit sein. 3. Teilautomatisiert: Das System übernimmt Quer- und/oder Längsführung – und das für einen gewissen Zeitraum und/oder in spezifischen Situationen. Der Fahrer muss das System dauerhaft überwachen. Er muss jederzeit zur vollständigen Übernahme der Fahrzeugführung bereit sein.
Autogazette: ...beim teilautomatisierten Fahren sind Sie derzeit...
Diess: ...ja, Fahrerassistenzsysteme sind bereits seit einiger Zeit modellübergreifend erhältlich, teilautomatisierte Fahrerassistenzsysteme befinden sich momentan in der Markteinführung. Daneben gibt es nach der Defintion der Bundesanstalt aber auch noch als vierte Kategorie das hochautomatisierte Fahren: Hier übernimmt das System die Quer- und Längsführung für einen gewissen Zeitraum in spezifischen Situationen. Der Fahrer muss das System dabei nicht dauerhaft überwachen, er muss jedoch jederzeit in die Fahraufgabe zurückgeholt werden können. Und als fünften und letzten Punkt gibt es das vollautomatisiert Fahren, bei dem das System die Quer- und Längsführung vollständig in einem definierten Anwendungsfall übernimmt. Der Fahrer muss das System nicht überwachen.
«Teilautomatisierte Fahrfunktionen in Markteinführung»
Autogazette: Und wann rechnen Sie mit dem Übergang vom teil- zum hochautomatisierten Fahren?
Diess: Der große Sprung, der noch vor uns liegt, ist der Übergang vom teil- zum hochautomatisierten Fahren. Genau das wird für die Forscher die zentrale Aufgabe der nächsten Jahre sein.
Autogazette: Ab wann sind Sie in der Lage, Ihren Kunden ein autonom fahrendes Auto anzubieten?
Diess: Theoretisch könnten hochautomatisiert fahrende Fahrzeuge nach 2020 zum Einsatz kommen. Das ist aber nicht unser Kernziel. Jahr für Jahr werden sich die Fähigkeiten des Fahrzeugs zur Unterstützung des Fahrers weiter verbessern. Immer mehr sicherheitskritische, schwierige oder ermüdende – und damit gefährliche – Situationen werden vom Fahrzeug gemeistert oder unterstützt.
Autogazette: Welche Teil-Schritte hin zum autonom fahrenden Auto werden wir bis dahin erleben?
Diess: Assistierende Fahrerassistenzsysteme sind bereits seit einiger Zeit erhältlich. Teilautomatisierte Fahrfunktionen wie der Stauassistent oder der Parkassistent befinden sich momentan in der Markteinführung und sind beispielsweise schon im BMW i3 verfügbar. Hochautomatisierte Fahrfunktionen wie z. B. ein Überholassistent auf Autobahnen könnten ab 2020 auf den Markt kommen. Wenn man sehr weit in die Zukunft blickt, könnte man sich das Fahren ganz ohne Fahrer, also das vollautomatisierte Fahren, beispielsweise für das ValetParking in Parkhäusern oder im Bereich des Car Sharings vorstellen.
«Wiener Übereinkommen Schritt in richtige Richtung»
Autogazette: Wo liegt für die Hersteller das größte Problem auf dem Weg zum autonomen Fahren: ist es technischer oder gesetzlicher Art?
Diess: Die technische Umsetzung ist, wie man es an unserem hochautomatisiert fahrenden BMW 5er, einem Versuchsträger, bereits heute möglich – jedoch noch mit unverhältnismäßig großem Aufwand. Wesentliche Herausforderungen sind hier die Verfügbarkeit der verbauten Sensoren wie zum Beispiel Laserscanner, von hochgenauem digitalem Kartenmaterial. Wir sind der Meinung, dass diese Themen mittelfristig gelöst werden können.
Autogazette: Was ist mit der rechtlichen Seite?
Diess: Die rechtliche Seite ist jedoch deutlich schwieriger zu beurteilen. Die Modifikation des Wiener Übereinkommens über den Straßenverkehr ist ein erster Schritt in die richtigeRichtung. Neben verkehrsrechtlichen Punkten gibt es jedoch auch noch zulassungs- undhaftungsrechtliche Fragen, die es zu klären gilt.
Autogazette: Was bereitet den Sensoren bzw. Radarsystemen im Auto derzeit die größten Probleme?
Diess: Unser hochautomatisiert fahrendes Forschungsfahrzeug verfügt über Sensortechnik wie Laserscanner, Radar, Ultraschall und Kameraerfassung auf allen Fahrzeugseiten. Ähnlich wie das menschliche Auge können die verwendeten Sensoren unter Umständen Probleme mit schlechtem Wetter, z. B. mit Starkregen oder Schneefall, haben. Bei schneebedeckten Straßen sieht das menschliche Auge eben keine Fahrspurmarkierungen. Der Kamera geht es genauso.
Autogazette: Können die Systeme beispielsweise Fußgänger am Straßenrand, die sich auf dem Bürgersteig einen Schritt Richtung Fahrbahn bewegen, sicher erkennen?
Diess: Wir sind der Meinung, dass das hochautomatisierte Fahren auf Autobahnen und autobahnähnlichen Straßen sowohl aus Kundensicht als auch aus Gründen derBeherrschbarkeit der verkehrlichen Komplexitäten den besten Output verspricht. Der städtische Bereich inkl. Fußgängern und Fahrradfahrern ist für uns ein Szenario, welches wir erst in einem nächsten Schritt betrachten werden. Trotzdem müssen Systeme zur Fußgängererkennung auch für andere Fahrerassistenzsysteme stetig weiterentwickelt undverbessert werden.
«Entscheidung über Fahrmodus liegt in Kundenhand»
Autogazette: Derzeit reagieren GPS-Daten noch mit Abweichungen von einigen Metern, ebenso ist Kartenmaterial noch nicht hundertprozentig präzise. Sind das Hemmnisse auf dem Weg zum autonomen Fahren?
Diess: Für das hochautomatisierte Fahren ist die Verwendung von hochgenauen, digitalen Karten notwendig. Da derartige Karten heutzutage noch nicht auf dem Markt verfügbar sind, müssen diese von uns im Rahmen unserer Forschungsarbeit noch aufwendig selbst generiert werden. Wir sind deshalb auch mit anderen OEMs und Kartenherstellern dabei, die Frage der Standardisierung zum Thema Karte zu beantworten. Die Präzisionslokalisierung muss so oder so umfeldsensorisch realisiert werden.
Autogazette: Glauben Sie, dass beim Kunden bereits die Akzeptanz besteht, mit einem voll autonom fahrenden Fahrzeug unterwegs zu sein?
Diess: Erste Studien zeigen, dass das hochautomatisierte Fahren in bestimmten Situationen beim Kunden Akzeptanz finden wird, da dieser dadurch mehr Sicherheit und mehr Zeit erhält und weniger Anspannung erlebt. Hat der Kunde keine Lust, selbst zu fahren, beispielsweise in einem Stau, fährt ihn sein Fahrzeug. Möchte er auf einer kurvigen Gebirgsstraße die «Freude am Fahren» erleben, steht ihm seine «Ultimate Driving Machine» ohne Einschränkungen zur Verfügung. Die Entscheidung über den Fahrmodus liegt allein in Kundenhand.
Autogazette: Sie haben das Wiener Übereinkommen angesprochen: Reicht das als gesetzlicher Rahmen für autonomes Fahren bereits aus?
Diess: Die Modifikation des Wiener Übereinkommens über den Straßenverkehr begrüßen wir. Unabhängig davon sind jedoch noch weitere rechtliche Fragen zu klären. Änderungen derZulassungsvorschriften, aber auch neue Versicherungsmodelle sind einige Herausforderungen, die herstellerübergreifend diskutiert werden müssen. Um mit Behörden und Politik die erforderlichen Rahmenbedingungen für eine Einführung hochautomatisierter Fahrfunktionen zu gestalten, sind Felduntersuchungen und Wirkungsanalysen erforderlich. Der nächste Schritt der BMW Group ist daher die Erprobung hochautomatisierter Fahrfunktionen auch auf europäischen Autobahnen.
Autogazette: Wie schnell muss diese Neuregelung nun in die nationale Gesetzgebung gebracht werden, damit Sie auf dem Weg zum Autopiloten nicht doch noch ausgebremst werden?
Diess: Baldmöglichst, da diese den Rahmen für unsere Entwicklungsarbeit – die überwiegend in Deutschland stattfindet – setzt.
«Arbeiten an entsprechenden Lösungsszenarien»
Autogazette: In den USA ist autonomes Fahren bereits heute beispielsweise in Arizona möglich. Wird autonomes Fahren zunächst in den USA stattfinden, weil bei uns die gesetzlichen Regelungen noch nicht reichen?
Diess: Auch in den USA wie zum Beispiel in Arizona oder in Nevada unterliegt das hochautomatisierte Fahren trotz der besagten Lizenzen heute noch gewissen Beschränkungen. Zum Beispiel darf nur autonom gefahren werden, wenn mindestens ein Fachmann im Fahrzeug auf dem Beifahrersitz sitzt, der im Notfall eingreifen kann. Natürlich schaffen derartige Regelungen mehr Bewusstsein für das Thema in dem jeweiligen Land. Trotzdem ist es heute sehr schwer abzuschätzen, in welchem Land das hochautomatisierte Fahren als erstes kommen wird.
Autogazette: Für den Fall eines möglichen Unfalls in einem autonom fahrenden Auto müssen sich die Hersteller mit Blick auf die Produkthaftung absichern. Wie soll das funktionieren, mit einer Blackbox?
Diess: Bereits heute arbeiten wir mit Gesetzgebern und Wirtschaft an entsprechenden Lösungsszenarien.
Autogazette: Eine Blackbox würde aber den gläsernen Autofahrer bedeuten...
Diess: ...Datenschutz und Privacy-Anforderungen werden natürlich jederzeit berücksichtigt, das hat für uns höchste Priorität.
Autogazette: Datenschutz spielt für die Kunden eine immer stärkere Rolle. Wie wollen Sie diesem Anspruch gerecht werden, wenn Sie das Auto zu einem fahrenden Computer machen, der Tausende von Daten sammelt und speichert?
Diess: Daten, die zur Verbesserung der Verkehrssicherheit nötig sind, z.B. ein tauende,Gefahrensituationen, Verkehrsdichte, werden vollständig anonymisiert verwendet. Schon heute verwenden wir Daten von Smartphone-Nutzern, um unsere Verkehrsmeldungen zuperfektionieren, zum Beispiel RTTI, die Real-Time-Traffic-Information. Dies ermöglicht einedeutlich bessere Qualität und Aktualität als z.B. TMC – ohne aber jeglichen Bezug zur Persondes Smartphone-Nutzers herzustellen. Wie schon gesagt, das Thema Datenschutz hat für uns höchste Priorität.
«Automatisiertes Fahren sollte im Stau beginnen»
Autogazette: Welche versicherungsrechtlichen Fragen müssen noch geklärt werden? Bedarf es beispielsweise höherer Deckungssummen?
Diess: Sobald ein Rechtssystem zum Thema Produkthaftung vorliegt, können z. B. auch neue Versicherungsmodelle diskutiert werden. Die Arbeiten hierzu laufen. Generell wird die neue Technik Unfälle und damit Schadensfälle reduzieren.
Autogazette: Wenn Sie ans autonome Fahren in den Innenstädten denken, wird es sich dann zunächst in speziellen Sicherheitszonen vollziehen, die mit Ihrer Infrastruktur darauf vorbereitet sind?
Diess: Wir sind der Meinung, dass das hochautomatisierte Fahren vor allem im Stau, im Stop-and-go oder bei eintönigen geschwindigkeitsbeschränkten Autobahnabschnitten beginnen sollte und nicht in Wohngebieten.
Das Interview mit Herbert Diess führte Frank Mertens