Radarsysteme übernehmen das Fahren

100 Kilometer Autobahn fahren, ohne die Pedale zu berühren? Mit modernen Abstandsassistenten soll das möglich sein. Theoretisch – denn der Fahrversuch brachte ein anderes Ergebnis.

Von Sebastian Viehmann

Moderne Luxuslimousinen haben ein bisschen etwas von James Bond: Radaraugen hinter dem Kühlergrill oder in der Stoßstange beäugen unauffällig den Verkehr, Infrarot- oder Wärmebildkameras machen die Nacht zum Tag. Ausgeklügelte Abstandsassistenten halten nicht nur Distanz zum Vordermann, sondern bremsen auch selbständig.

Viele Namen für eine Technik

Die «Distronic Plus» in der neuen CL-Klasse von Mercedes zum Beispiel arbeitet mit Hilfe von zwei Radarsystemen in einem Bereich von 20 Zentimetern bis 150 Metern und bei Geschwindigkeiten bis 200 Stundenkilometern. Die so genannte Pre-Safe-Bremse greift ein, wenn ein Auffahrunfall droht. Aber Abstands-Assistenten und automatische Bremssysteme gibt es nicht nur bei Mercedes. Ford bietet eine adaptive Geschwindigkeitsregelanlage («Adaptive Cruise Control», kurz ACC) mit Auffahrwarnsystem («Forward Alert») an. Honda hält für den neuen Civic ebenfalls ein ACC-System bereit. Dazu kommt das CMBS («Collision Mitigation Brake System»), das helfen soll, Auffahrunfälle zu verhindern. BMWs Geschwindigkeitsregelanlage heißt ebenfalls ACC und arbeitet bei Geschwindigkeiten bis zu 180 Kilometern pro Stunde. Optional gibt es eine «Stop & Go»-Funktion, die das Fahrzeug bis zum Stillstand abbremst. Eine automatische Vollbremsung gibt es aber nicht, ebenso wenig wie bei Mercedes.

Führungsfahrzeug: Abstandsanzeige im Mercedes-Tacho Foto: Werk

Aber: Können die Abstandsassistenten in einem Dauertest auf Autobahn und Landstraße überzeugen? Um das herauszufinden, sind wir in einer Mercedes E-Klasse mit Distronic von Paris bis St. Petersburg gefahren. Die Bedienung ist kinderleicht: Mit einem kleinen Hebel links neben dem Lenkrad stellt man die gewünschte Geschwindigkeit (bis 180 Stundenkilometer) ein, mit einem Rändelrad an der Mittelkonsole den gewünschten Abstand zum Vordermann. Das vorausfahrende Fahrzeug wird zum «Führungsfahrzeug», an dem sich die Distronic orientiert: Wird es langsamer, bremst auch der Benz ab, beschleunigt es, eilen Distronic und Daimler hinterher. Eigentlich passt der Begriff «Zugfahrzeug» im diesem Zusammenhang am besten: Man hat den Eindruck, dass einen der Vordermann an einem unsichtbaren Abschleppseil hinter sich her zieht.

Probleme mit «Lückenspringern»

Das funktioniert immer dann hervorragend, wenn die Autobahn einigermaßen leer und die Geschwindigkeiten halbwegs konstant sind. In Frankreich, Polen oder den baltischen Staaten zum Beispiel konnten wir manchmal eine Stunde lang dahin gleiten, ohne Gas oder Bremse auch nur streicheln zu müssen. Sobald der Verkehr aber dichter wird, ist der Fahrer wieder gefragt. Da das System nicht näher an den Vordermann heranfährt, als es die Gebote des Sicherheitsabstands erlauben, machen einem oft «Lückenspringer» einen Strich durch die Rechnung. Und sobald man einmal auf die Bremse geht, deaktiviert sich die Distronic, und man muss sie neu einstellen.

Hinter dem Stern: Sensoren des Abstands-Assistenten Foto: Werk

Gerade auf deutschen Autobahnen, auf denen mit sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten gefahren wird, ärgert man sich zudem über die Trägheit des Systems. Vor allem das Beschleunigen geht ziemlich zäh vonstatten. Immerhin sorgt die Distronic dafür, dass man über sein Fahrverhalten nachdenkt - denn oft hat man den Eindruck, dass man den Mindestabstand ohne den elektronischen Abstandhalter deutlich unterschreiten würde.

Hilflos im Regen

Im Kolonnenverkehr, wo man normalerweise ständig auf Gas oder Bremse steht, sorgt die Distronic jedoch für einen erheblichen Komfortgewinn. Prinzipiell kann man das System übrigens auch auf der Landstraße und in der Stadt einsetzen. Bei kurvenreichen Strecken oder in Ausfahrten kann es aber passieren, dass die Distronic das «Zugfahrzeug» aus den elektronischen Augen verliert. Dann sollte man das System besser deaktivieren.

Nicht arbeitswillig war die Distronic während einer mehr als 3000 Kilometer langen Strecke nur einmal: während eines starken Regenschauers. Ein Hinweis am Instrumentenbrett zeigt in solchen Fällen an, dass der Assistent vorübergehend nicht zur Verfügung steht. Die Technik - das betonen die Hersteller von Assistenzsystemen immer wieder - soll dem Fahrer nicht das Heft aus der Hand nehmen.

Schließlich ist noch die Frage interessant, wer eigentlich haftet, wenn es trotz Assistenzsystemen zu einem Unfall kommt oder die Elektronik einmal versagt. Bei Systemen wie ABS ist das unproblematisch: Die «Sachherrschaft», wie es die Juristen so schön formulieren, liegt uneingeschränkt beim Fahrer. Die Technik optimiert sozusagen nur das, was im Verantwortungsbereich des Fahrers liegt: volle Kanne auf die Bremse zu treten.

Der Fahrer bleibt verantwortlich

Bei telematikbasierten Assistenzsystemen wird die Sache schon schwieriger. Könnte der Fahrer sie nicht außer Kraft setzen, würde er sozusagen die Sachherrschaft über sein Auto verlieren. Deshalb dürfte es Systeme wie zum Beispiel die automatische Vollbremsung erst einmal nicht geben.

Auf Abstand: Mercedes E-Klasse während der Testfahrt Foto: Werk

Dass sich der Fahrer im Zweifel nicht auf Assistenzsysteme verlassen sollte, legen auch Verkehrsrichter nahe. Im April dieses Jahres etwa entschied das Oberlandesgericht Hamm über einen Fall, bei dem ein Autofahrer mit zu hohem Tempo geblitzt wurde. Der Fahrer wehrte sich und gab an, der Tempomat seines Wagens sei defekt gewesen. Das Gericht entschied jedoch, dass ein Fahrer in jedem Fall für die Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit selbst verantwortlich ist - auch wenn der Tempomat eingeschaltet ist und sogar dann, wenn er defekt sein sollte.

Entspanntes Zurücklehnen während der Fahrt ist also nicht angesagt. Auch wenn das Plus an Entspannung und Komfort einer der Hauptgründe ist, warum man für Assistenzsysteme Geld auszugibt.

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