«Schwache Klimapolitik wäre süßes Gift für Autoindustrie»

Mobilitätsgipfel im Kanzleramt

«Schwache Klimapolitik wäre süßes Gift für Autoindustrie»
Aktivisten von Campact demonstrieren vor dem "Mobilitätsgipfel" vor dem Bundeskanzleramt. © dpa

War es ein Mobilitäts- oder Autogipfel? Über diese Frage gab es im Vorfeld des Spitzentreffens im Kanzleramt viele Diskussionen. Ergebnisse gab es am Ende nicht.

Eines wurde am Ende des Treffens am Dienstagabend  deutlich. Die Bundesregierung bleibt weit hinter den selbstgesetzten Zielgrößen bei der Elektromobilität und den Klimazielen zurück, wie IG-Metall-Chef Jörg Hoffmann am Dienstag im Deutschlandfunk sagte. In den Punkten, die für eine gelingende Mobilitätswende wesentlich seien, liege man weit hinter der nötigen Ausbaugeschwindigkeit.

«Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich einig, dass ein rascher Hochlauf der E-Mobilität erforderlich ist, um die Klimaziele im Verkehr zu erreichen», erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Dienstag nach dem Treffen in einer schriftlichen Mitteilung. Die Bundesregierung verwies auf den bereits im Herbst vorgestellten «Masterplan» zum Ausbau des Ladenetzes für Elektroautos. «Beim Aufbau und Betrieb von Ladeinfrastruktur ist nun in erster Linie die Energie- und Automobilwirtschaft gefordert», so Hebestreit. Auch die Lkw-Ladeinfrastruktur soll vorankommen.

Autoindustrie braucht Planungssicherheit

Der Direktor der Agora Verkehrswende, Christian Hochfeld, begrüßte nach dem Treffen, dass „Klimapolitik im Verkehr zur Chefsache wird“. Wie Hochfeld sagte, hätte beim Spitzengespräch der Schwerpunkt auf der Transformation der Automobilwirtschaft gelegen. „Auch hier zeigt sich, dass wirtschaftlicher Erfolg und ambitionierter Klimaschutz nur noch zusammen denkbar sind. Eine schwache Klimapolitik wäre süßes Gift für die Automobilindustrie“, so der Agora-Chef.

Wie er hinzufügte, brauche die Automobilindustrie Planungs- und Investitionssicherheit für die Umstellung auf die Elektromobilität. „Wenn bis 2030 in Deutschland 15 Millionen vollelektrische Pkw auf den Straßen fahren sollen und ein Drittel des Straßengüterverkehrs elektrisch befördert werden soll, dann liegt es in der Verantwortung der Politik, die dafür nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen“; sagt Hochfeld. Aus seiner Sicht sei es deshalb „höchste Zeit für eine auf Klimaneutralität ausgerichtete Steuer- und Finanzreform im Straßenverkehr. Dazu gehört zum Beispiel eine effektive und sozial ausgewogene Weiterentwicklung der Kfz- und Dienstwagenbesteuerung“.

Hochfeld hofft darauf, dass die Bundesregierung bis zum Ende des ersten Quartals ein umfassendes Klimaschutz-Sofortprogramm vorlegt. Darin müsse auch ein für den Verkehrssektor belastbaren Pfad zur Klimaneutralität definiert sein. Bei dem nächsten Treffen im Kanzleramt sollten dann aber auch Repräsentanten aller für die Verkehrswende notwendigen Verkehrsträger beteiligt sein, „von Bus und Bahn bis Fuß und Fahrrad. Klimaschutz und die Sicherung der Mobilität von morgen gelingen nur als Gemeinschaftswerk.“

E-Mobilität wird durch fehlende Infrastruktur gebremst

Der Umstieg auf E-Autos wird nach einer Verbraucherumfrage der Unternehmensberatung Deloitte von steigenden Kosten und fehlender Infrastruktur gebremst. Trotz wachsender Modellauswahl würden nur 16 Prozent der Befragten beim nächsten Autokauf einen reinen Stromer nehmen. Ende 2021 lag der Anteil demnach bei 15 Prozent. Niedrigere Betriebskosten und staatliche Kaufprämien seien wesentliche Argumente für den Kauf eines E-Autos. «Nun schießen die Stromkosten in die Höhe, während die Förderung sukzessive zurückgefahren wird und 2025 sogar ausläuft. Das wird dazu führen, dass künftig weniger Elektroautos verkauft werden», sagte Branchenexperte Harald Proff.

Als größte Bedenken führten Verbraucher die Reichweite an: Mit 57 Prozent wurde sie am häufigsten genannt, gefolgt von einer fehlenden öffentlichen Ladeinfrastruktur (47 Prozent), der Ladezeit und der nicht vorhandenen Lademöglichkeit im eigenen Zuhause (je 45 Prozent). 75 Prozent der in Deutschland Befragten würden ihr E-Auto am häufigsten zu Hause laden. Dieser Wunsch sei im Vergleich zum Vorjahr (70 Prozent) gestiegen, obwohl Lademöglichkeiten gerade in dicht besiedelten Städten fehlten, teilte Deloitte weiter mit.

Angebot an E-Autos muss ausgebaut werden

Aus Sicht des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sind Lademöglichkeiten jedoch nicht das Problem. Eine eigene Umfrage zeige, dass Nutzer die Entwicklung des Ladeangebots positiv beurteilten. «Die Auslastung der Ladesäulen liegt bei rund 15 Prozent, da ist ordentlich Luft nach oben», erklärte Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung. «Das Henne-Ei-Problem im Markt existiert nicht mehr.»

Die Nachfrage nach E-Autos übersteige bei Weitem das Angebot, so Andreae. Kunden warteten teils länger als ein Jahr auf ihren Wagen. Die Zulassungszahlen müssten deutlich schneller steigen, um bis 2030 insgesamt 15 Millionen vollelektrische Pkw auf den Straßen zu haben – dieses Ziel hat sich die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP im Koalitionsvertrag gesetzt. «Es reicht nicht, mit Kaufprämien und über einen vorauslaufenden Ausbau des Ladeangebots die Nachfrageseite anzukurbeln. Die Nachfrage und Akzeptanz sind bereits hoch, jetzt muss das Fahrzeugangebot gestärkt werden.»

Kritik am Teilnehmerkreis

Kritik gab es am Teilnehmerkreis des Treffens. Die Organisation Lobbycontrol erinnerte daran, dass die Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag Diskussionen zum Thema mit einem größeren Kreis angekündigt hatte.

«Nun lädt Bundeskanzler Olaf Scholz wieder zu einem einseitig besetzten Autogipfel ein.» Dem Auto werde damit weiter Priorität vor anderen klimafreundlicheren Verkehrsmitteln eingeräumt. Der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) äußerte sich ähnlich – das sei, als wenn man einen Sportlergipfel einberufe und nur Fußballer einlade. Die Bundesregierung selbst äußerte sich im Vorfeld nicht zur genauen Zusammensetzung des Treffens. (mit dpa)

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