Pkw-Cockpit: Große Displays schon bald von gestern?

Pkw-Cockpit: Große Displays schon bald von gestern?
Bei Audi sollen Informationen auf Holz projiziert werden. © Audi

Lange galten im Auto nur wuchtige Bildschirme als schick. Langsam, aber sicher scheint sich dieser Trend umzukehren.

Noch sind übergroße Displays die zentralen Prestige-Objekte im Pkw-Cockpit. Doch eine Gegenbewegung zeichnet sich ab. In Fahrzeugstudien rücken die Bildschirme nun optisch wieder in den Hintergrund – und machen Platz für neue Wohn- und Interieur-Welten.

Die Magie der großen Screens hat im Automobilbau zuerst Tesla entdeckt. Kein kleiner Teil der Faszination des Model S dürfte in dem üppigen Tablet in der Mittelkonsole begründet gewesen sein, neben dem die pixeligen Anzeigeflächen der Konkurrenz plötzlich wie Lerncomputer aus dem Kinderzimmer aussahen. Lange währte der Vorsprung aber nicht: Schön bald rüsteten die Wettbewerber nach und übertrafen die Amerikaner sogar. Vorläufiger Höhepunkt: Der sogenannte „Hyperscreen“, der sich in der Mercedes S-Klasse über das komplette Armaturenbrett zieht – 0,24 Quadratmeter HD-Hightech. Mehr geht kaum.

Alles Wichtige auf die Windschutzscheibe

Yanfengs Studie empfängt die Insassen im „Calm Mode“. Foto: Yanfeng

Wie viele Trends dürfte aber auch der zu Mega-Bildschirmen auf dem Höhepunkt kippen. Erste Anzeichen dafür sind schon zu sehen. Auch, wenn die Screens bei den Volumenherstellern noch im Wachsen begriffen sind, setzen Premium-Autobauer und Zulieferer bereits auf eine gegenläufige Entwicklung. Die Idee: Der moderne Mensch ist im Alltag mittlerweile von so vielen Bildschirmen, Digitalanzeigen und Interfaces umgeben, dass Bildschirm-Detox der wahre Luxus ist. Zudem sind die großen Glasflächen bei ausgeschalteter Zündung blind und schwarz – eine hässliche Leerstelle mitten im Cockpit, die nach Möglichkeit gefüllt werden soll. Ganz ohne Anzeige-Displays geht es im modernen Auto allerdings auch nicht, Geschwindigkeitsanzeige und Navigations-Anweisungen sind der Mindeststandard – die Hersteller müssen also kreativ werden.

Auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas etwa hat BMW im i Vision Dee auf Bildschirme gänzlich verzichtet. Auch hinter dem Lenkrad ist kein Instrument zu finden. Stattdessen werden alle Fahrinformationen inklusive Augmented-Reality-Inhalten in die Windschutzscheibe gespiegelt. Und zwar gleich über deren gesamte Breite. Darüber hinaus verschwinden alle physischen Schalter, Knöpfe und Regler aus dem Innenraum, selbst Türgriffe gibt es nicht. Bedienelemente blenden erst bei Bedarf auf, werden in Form von Lichtmustern hinter den Innenraumverkleidungen sichtbar. „Shy Tech“ heißt das im Designer-Jargon – „schüchterne Technik“. Ein Mega-Trend in der Interieur-Gestaltung, den es nicht nur bei BMW gibt.

Dass die digitale Technik sich an die Bedürfnisse des Menschen anpasst, statt umgekehrt, ist auch die Idee bei der jüngst präsentierten Studie XiM23 des auf Fahrzeug-Innenräume spezialisierten Zulieferers Yanfeng. Beim Einsteigen werden die Insassen von dem großen SUV im sogenannten „Calm Mode“ – dem Ruhemodus – empfangen. Nimmt der Fahrer Platz, fährt ein schlankes, über die gesamte Fahrzeugbreite gezogenes Display zwei Finger hoch aus dem Armaturenbrett heraus. Gleichzeitig klappt ein Mini-Bildschirm in der Mittelkonsole auf, am Lenkrad werden durch Hinterleuchtung Multifunktionstasten sichtbar. Insgesamt bleiben die optischen Reize aber zurückhaltend und wohltemperiert.

Bedürfnis nach digitaler Ruhe

Der aktuelle Hyperscreen von Mercedes ist extrem groß. Foto: Mercedes-Benz

Wer es digitaler möchte, wechselt in den „Rich“-Mode, den „angereicherten“ Zustand. Dann fährt der bislang schmale Armaturenbrett-Bildschirm auf doppelte Höhe aus, wodurch die Menge der dargestellten Informationen ebenso wächst wie der Detailreichtum der Grafik. Zu einer richtigen Kino-Leinwand entfaltet sich der Bildschirm im „Immersive“-Modus, der für das vollautomatisierte Fahren gedacht ist. Das Display nimmt nun gut die halbe Fensterhöhe ein und verstellt so den Blick nach draußen. Auf der konkaven Fläche lassen sich nun unter andere Filme, Sportübertragungen oder Videospiele darstellen.

„Die hier gezeigten Techniken und Ideen können aber auch in kleineren Fahrzeugklassen zum Einsatz kommen“, erläutert Andreas Maashoff, Leiter der Innovations-Abteilung von Yanfeng in Europa. Die erstmals öffentlich präsentierte Studie zeigt, was heute oder morgen möglich ist im Auto. „Das meiste, was wir hier an Neuem zeigen, könnte schon bald in Serie gehen.“ Auch der Verzicht auf einen prominenten Bildschirm als zentrales Einrichtungselement zählt dazu. Yanfeng hat für die Studie umfangreiche Kunden- und Nutzerbefragungen durchgeführt, die auch ein Bedürfnis nach digitaler Ruhe gezeigt haben.

Während BMW den Bildschirm durch ein Head-up-Display ersetzt und Yanfeng die Videotechnik einfach im Armaturenbrett versenkt, nutzt Audi die Innenraummaterialien als Leinwand. In der jüngst präsentierten Crossover-Studie Urbansphere dient das Holz des Amaturenbretts als Projektionsfläche für das Infotainment-System. Die luftig-transparente Grafik sorgt in Kombination mit der durchscheinenden Maserung des Naturmaterials für einen überraschend organischen Eindruck, von dem sich auch der technikskeptischste Insasse nicht gestört fühlen dürfte. (SP-X)

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