Wer in den zurückliegenden Wochen durch San Francisco lief, konnte den Plakaten kaum entgehen. „e-tron. Electric has gone Audi“ ist an Häuserwänden und Glasfassaden zu lesen.
Niemandem sollte entgehen, dass die VW-Tochter die Elektromobilität für sich entdeckt hat und die Weltpremiere seines ersten E-Autos am 17. September feiert. Am Montagabend (Ortszeit) sind nun die Hüllen gefallen.
Für Audi ist dieser Tag ein besonderer Tag. Denn mit dem e-tron startet die Premiummarke in die Elektromobilität. „Der e-tron markiert einen besonderen Augenblick. Er läutet eine neue Ära für Audi ein. Eine neue Ära für die Mobilität“, sagt Bram Shot, der kommissarische Audi-Chef. Für eine Marke mit dem Claim „Vorsprung durch Technik“ kann man diesen Start in „eine neue Ära“ als spät empfinden. Denn bis auf Plug-in-Hybride konnten die Ingolstädter ihren Kunden bislang kein rein elektrisches Modell anbieten. Vielmehr mussten die Ingolstädter zuschauen, wie Tesla mit seinen Modellen die Schlagzeilen bei der Elektromobilität bestimmte.
Audi e-tron mit über 400 Kilometer Reichweite
Selbst bei den europäischen Premiumherstellern war Jaguar mit dem I-Pace schneller als Audi. Vor knapp zwei Wochen stellte auch Mercedes den EQC vor, das erste Modell der EQ-Familie. Doch während Mercedes den EQC erst 2019 auf den Markt bringt, wird der Audi e-tron noch dieses Jahr zu einem Preis von 79.900 Euro an die ersten Kunden ausgeliefert. Die können sich auf ein Auto freuen, dessen 95 kWh starke Akkus nach neuem Verbrauchszyklus WLTP eine Reichweite von über 400 Kilometern bringen sollen. Davon soll allein durch die aufwendige Rekuperationstechnik 30 Prozent der Energie für die Fahrstrecke geliefert werden. Im Vergleich: der Mercedes EQC kommt nach dem alten Verbrauchszyklus NEFZ auf 450 Kilometer, ist also in der gleichen Range unterwegs wie der neue Audi. Die zwei E-Motoren des e-tron an Vorder- und Hinterachse liefern eine Leistung von 408 PS.
Dem Vorhalt, man sei zu spät dran, kann man bei Audi indes gelassen sehen. Denn beim Konkurrenten BMW ist man noch später dran. Die Münchner waren vor Jahren mit dem i3 zwar Taktgeber bei E-Autos, doch mittlerweile hat man seine Vorreiterrolle verloren. So wird die BMW-Tochter Mini zwar im kommenden Jahr ein reines E-Modell anbieten, doch erst 2020 folgt der iX3, ein elektrifizierter Geländewagen. Der BMW Vision iNext lässt sogar bis 2021 auf sich warten. Experten weisen dann zu Recht darauf hin, dass ein Premium-Hersteller beim Kunden Punkte einbüßt, wenn man mit wichtigen Produkten wie bei der E-Mobilität zu lange wartet.
Shot: Es geht nicht darum, Erster zu sein
Doch um sich am Markt zu behaupten, komme es letztlich nicht darauf an, ob man nun ein paar Monate später oder früher mit einem Modell am Start sei, wie unlängst der Chefentwickler des EQC, Michael Kelz, im Interview mit der Autogazette sagte. Vielmehr komme es auf die Stärke der Produkte an – und hier glaubt Audi ganz vorn dabei zu sein. Wie Shot sagte, gehe es letztlich nicht darum, „der Erste zu sein. Es geht darum, die richtigen Dinge zu tun – und sie dann im richtigen Moment richtig zu tun. Und es ist ohne Frage die richtige Zeit für die E-Mobilität von Audi“. Für Shot jedenfalls ist der e-tron das beste Elektroauto, das man derzeit kaufen könne.
Mit Blick auf die Reichweite reiht sich die Marke zunächst aber nur ein in die der Konkurrenten. Doch mit Blick auf die Ladeleistung von 150 kW stellt Audi den Benchmark im Wettbewerb. Die Konkurrenz von Mercedes und Jaguar bieten nur um die 100 kW an. Mit den 150 kW des Audi e-tron ist es möglich, das E-SUV an einer 22 kW-Ladestation innerhalb von 4,5 Stunden wieder aufzuladen. An einer 11 kW-Station braucht man dafür 8,5 Stunden.
Damit die e-tron-Kunden ihr E-Auto auf Reisen auch problemlos aufladen können, ermöglicht es ihnen Audi, dies an den europaweit 72.000 Ladepunkten mit nur einer einzigen Karte zu tun – und das im ersten Jahr zudem kostenfrei.
e-tron ist Start der E-Offensive
Für Audi ist der Start mit der Weltpremiere des e-trons zugleich der Auftakt einer großen Elektro-Offensive. Bis zum Jahr 2025 wird Audi zwölf Fahrzeuge mit reinem E-Antrieb auf den wichtigsten Märkten anbieten. Ab dann sollen die E-Autos bereits ein Drittel des Absatzes alle Verkäufe ausmachen, wie Shot sagt. Nach dem e-tron wird Audi im kommenden Jahr den e-tron Sportback nachschieben. Auf der Los Angeles Motorshow Ende November wird die Marke den e-tron GT concept präsentieren.
Nachdem Audi zunächst mit einem Premium-SUV in die Elektromobilität startet, wird es aber auch nach und nach in den anderen Segmenten bis hin zur Kompaktklasse E-Autos der Ingolstädter geben. Im Rahmen seiner Elektrifizierungsstrategie greift Audi dabei auf vier technische Plattformen und Produktfamilien zurück. Sie bieten die Voraussetzungen dafür, E-Autos vom A bis zum D-Segment anzubieten, wie Ulrich Widmann aus der technischen Entwicklung sagte.
Bei dem GT concept handelt es sich übrigens um ein zusammen mit Porsche entwickeltes Coupé. „Der GT Concept verfügt dabei natürlich über die nötige Audi-DNA“, stellt Widmann klar. Wie er hinzufügte, entsteht zusammen mit der Konzernschwester Porsche auch eine neue Plattform, die so genannte Premium-Architektur Elektrifizierung (PPE). Auf ihr werden E-Fahrzeuge des B- bis D-Segments basieren. Bei Fahrzeugen der Kompaktklasse setzt Audi auf den Modularen Elektrifizierung Baukasten (MEB) der Konzernmutter VW.
Weitere Plug-in-Hybride angekündigt
Mit Blick auf die immer strenger werdenden CO2-Vorgaben aus Brüssel wird Audi neben reinen E-Autos zugleich auch sein Angebot an Plug-in-Hybriden ausbauen, wie Widmann ankündigte. In nahezu jedem Marktsegment soll es Modelle mit der Kombination aus Elektro- und Verbrennungsmotor geben.
Das Festhalten an dieser Brückentechnologie dürfte auch daran liegen, dass das SUV-Segment wächst und wächst. Bereits heute entfallen 37 Prozent aller weltweiten Verkäufe bei Audi auf SUVs, in den USA sind es sogar 53 Prozent.
Angesichts dieses Anteils verwundert es nicht, dass Audi – wie übrigens auch Jaguar und Mercedes – mit SUVs ins Elektrozeitalter starten. Man mag dies kritisieren, weil allein die Karosserieform mit ihrer großen Widerstandsfläche nicht für die größte Effizienz steht. Doch aus unternehmerischer Sicht können die Autobauer bei der Wahl eines SUVs am wenigsten falsch machen. Und so startet nach Jaguar, Mercedes nun auch Audi mit einem SUV in eine neue Ära. Es ist ein Fahrzeugsegment, das man mit Blick auf die Zukunft der Mobilität nicht unbedingt als erstes nennen würde.