Die Aprilia Tuono V4 gilt mit ihren 175 PS als megastarkes Naked Bike. Nun stellen die Italiener die Tuono 660 vor – und sie dürfte für Furore sorgen.
Nach der Tuono 125 tritt jetzt die Tuono 660 auf den Plan, Schwestermodell der erst im vergangenen Herbst präsentierten Aprilia RS 660. So ist es kein Wunder, dass die von einem 659 Kubikzentimeter großen Zweizylinder-Paralleltwin befeuerte Tuono 660 mit einem famosen Fahrwerk und einem charismatischen Antrieb aufwartet. Dank des Hubzapfenversatzes von 270 Grad, des mit 183 Kilogramm bescheidenen Leergewichts und der Leistung von 95 PS kommt im Sattel Stimmung auf.
Insbesondere in drei Kriterien begeistert die Tuono 660, und zwar in gleichem Maße wie ihre sportlicher ausgelegte Schwester: Motor, Ergonomie und Fahrwerk. Der Twin besitzt Manieren, lässt sich zivil bewegen, nimmt sauber Gas an, die Seilzug-Kupplung funktioniert leichtgängig. Ein Gentleman, mit dem man bummeln kann. Doch sobald man den elektronischen Gasgriff aufreißt und die Drehzahl über 7000 U/min schnalzt, beginnt das zweite Leben der 660er. Dann stiebt sie ungestüm nach vorn.
5 PS weniger Leistung als bei der RS
Dass der gut klingende und fein am Gas hängende Zweizylinder in der Tuono mit 5 PS weniger als in der RS ausgeliefert wird, ist nicht zu spüren. Kein Wunder, liegt doch das Drehmoment mit 67 Newtonmetern bei 8.500 U/min auf identischer Höhe. Und zudem hat Aprilia die Sekundärübersetzung etwas kürzer gewählt. Das Einhalten der Leistungsgrenze von 95 PS eröffnet die Möglichkeit, eine A2-konforme Drosselung anzubieten; eine kluge Entscheidung. Das nutzbare Drehzahlband ist weiterhin sehr breit; zumeist bewegt man sich aber im Bereich zwischen vier- bis achttausend Touren. Das Ende des lustigen Drehzahltreibens ist erst bei 11.500 U/min erreicht.
Getriebe, Schaltung und Bremsen – vorne gibt es eine reichlich bemessene Doppelscheibenanlage mit Vierkolben-Radialsätteln – lassen keine Wünsche offen. Allerdings nur dann, wenn der Käufer ein paar Hunderter drauflegt und beim Händler ein paar Hightech-Komponenten der RS nachrüsten lässt. Der dann zur Verfügung stehende Quickshifter funktioniert wunderbar leicht und präzise, die dann noch reichlicher vorhandenen Assistenzsysteme können auch in Kurven ihre volle, präzise Wirkung entfalten. Das gilt insbesondere für das ABS. Hier stellt sich die Frage, ob es wegen 500 Euro Preisvorteil gegenüber der RS 660 wirklich klug ist, auf den Serieneinbau der Sechsachsen-Sensorbox IMU und des Quickshifters zu verzichten. Zumal die Nachrüstung samt Montage gewisslich nicht weniger kostet.
Ein feines Fahrwerk
Die Fähigkeit von Aprilia, feine Fahrwerke zu bauen, demonstriert auch die kleine Tuono. Schon nach wenigen Kilometern Fahrt fühlt sich der Fahrer „daheim“, weiß die Tuono einzuschätzen. Sie lenkt leicht ein, hält stabil Kurs und macht selbst auf den teils brutal demolierten italienischen Straßen eine gute Figur: Wir hätten angesichts der direkten Anlenkung des Federbeins weniger Fahrkomfort und eine härtere Federung erwartet.
Rundum gelungen erscheint auch die Ergonomie: Kleinere wie Größere sitzen gut, der Boden ist beim Anhalten leicht erreichbar, der Kniewinkel entspannt. Der schmale Rahmen erlaubt einen prima Knieschluss am Tank. Dank des breiten, angenehm hoch montierten Lenkers sind ausgedehnte Tagestouren kein Problem. Selbst der Soziusplatz dürfte für Halbtagsausflüge brauchbar sein. Ein wirkliches Tourenmotorrad ist die Aprilia freilich nicht.
Fünf Fahrprogramme zur Wahl
Der Blick ins Cockpit demonstriert, dass Aprilia angesichts des bunten TFT-Displays und der fünf Fahrprogramme viel Elektronik-Aufwand treibt. Für den Sporteinsatz auf Rundstrecken gibt es zwei Sonder-Modi, für die Straße sind Commute, Dynamik und Individual gedacht; bei letzterem sind sämtliche Faktoren frei wählbar. Ob Commute oder Dynamik machte in der Leistungsentfaltung und der Gasannahme beim ersten Eindruck keinen Unterschied. Das Angebot der Schaltzentrale ist insgesamt mehr als reichlich und erreicht das Niveau der großen Tuono V4, die Menüführung ist ok. In punkto Übersichtlichkeit gibt es beim Tuono-Display – wie generell bei Aprilia – aber nach wie vor Verbesserungspotenzial.
Unterm Strich ist die Aprilia Tuono 660 ein sehr gelungenes, wunderbar handliches und leicht zu fahrendes Nakedbike. Freilich ist der Wettbewerb ebenfalls auf Zack: Die noch junge Triumph Street Triple S und R sowie die ganz neue KTM 890 Duke wie auch die ebenfalls neue Yamaha MT-09 sind auch nicht von schlechten Eltern, zudem verfügen diese Marken über ein größeres Händlernetz. So wird die Aprilia Tuono 660 als Hecht im Karpfenteich agieren müssen. (SP-X)