Corvette C6: Ein Mythos lebt auf

Die Corvette ist nicht einfach nur ein Auto. Sie ist mehr: sie ist schlicht ein Mythos. Und der wird nun mit der sechsten Generation zu neuem Leben erweckt.

Von Axel F. Busse

Was hält schon ewig? Das Verfallsdatum von Auto-Ikonen scheint nur unwesentlich stabiler als etwa das von Tiefkühl-Steaks. Zum Beispiel der Käfer - nach 32 Jahren lief in Wolfsburg der letzte von Band. Die Ente - eingestellt nach 42 Jahren Produktionszeit.

Ein Mythos

Seit 53 Jahren gibt es die Corvette - ein Ende ist nicht in Sicht. Erst als Sportwagen nicht ernst genommen, dann als Luden-Schaukel verunglimpft und nun in der sechsten Generation leistungsstärker und konkurrenzfähiger als jemals zuvor. Für viele Amerikaner ein Mythos, «The real McCoy» - der wahre Jakob. Was steckt drin in dem Coupé mit der unanständig langen Motorhaube, mit dem man allerhand kann, nur nicht mal eben unauffällig zum Kiosk fahren?

Wie ein Dinosaurier aus der Zeit, als der Liter Sprit noch weniger als eine D-Mark kostete, erscheint der Zweisitzer, schaut man sich die Motortechnik an: Acht Zylinder, jeder einzelne mit dem Volumen einer Champagnerflasche. Sechs Liter Hubraum macht das zusammen. Dazu simple Zwei-Ventil-Technik, kein Turbo, keine Direkteinspritzung, kein Schnickschnack. Und doch 404 PS - glatte 60 mehr als in der vorigen Generation.

Die rief schon durch ihre physische Präsenz bisweilen Naserümpfen hervor und das müssen wohl auch die Entwickler bei General Motors bemerkt haben. 125 Millimeter kürzer und 25 Millimeter schmaler ist wurde die C6 genannte aktuelle Ausgabe und damit etwa auf Niveau eines Porsche 911. Die «Vette» wirkt jetzt kompakter, die 30 Millimeter mehr Radstand kommen der Bequemlichkeit zugute und der Verzicht auf die angejahrten Klappscheinwerfer sorgt nun für eine der Leistungs- und Preisklasse angemessene Ausleuchtung der Straße.

Ausgewogenes Fahrverhalten

Die Seitenansicht des C6 Foto: Axel F. Busse

Geblieben ist das Prinzip des Frontmotors mit Getriebe an der Hinterachse («Transaxle»), das eine gute Gewichtsverteilung garantiert und ausgewogenes Fahrverhalten. Das Fahrwerk ist insgesamt straffer und damit «europäischer» geworden. Bauartbedingt gilt der Sechsliter-Alumotor noch als «Small Block», dessen maximales Drehmoment von 546 Newtonmetern es in der Coupéversion mit kaum mehr als 1500 Kilogramm Leergewicht zu tun hat.

Dieses Verhältnis führt zu schlicht atemberaubenden Fahrerlebnissen. Glücklich, wer mit dem Automatikgetriebe unterwegs ist. Das kostet gegenüber der Handschaltung zwar unverschämte 3500 Euro Aufpreis (in früheren Generationen war der Automat das Normale und die Handschaltung die Sonderausstattung), aber dafür erlaubt es dem Fahrer, beide Hände fürs Festhalten am Lenkrad zu benutzen. Unter fünf Sekunden von 0 auf 100 km/h sind eine Hausnummer, die auch in Sportwagenkreisen für Beachtung sorgt. Noch herzerfrischender ist der Versuch, per Kickdown von 80 auf 120 km/h zu beschleunigen.

Zu schießen wäre der angemessene Ausdruck. Weniger als drei Sekunden vergehen bei diesem Zwischenspurt, der als Parameter für Durchzugskraft und Überholtemperament gilt. Kaum hat das Pedal den Anschlag berührt, die Automatik schon drei Stufen oder gar vier Stufen zurück geschaltet, faucht der Achtzylinder kurz auf und ein gewaltiger Tritt ins Kreuz lässt die Alarmleuchte im Kopf aufblicken: «Ja nicht den Tacho aus dem Auge verlieren».

Head-up-Display

Das wuchtige Heck der Corvette C6 Foto: Werk

Kein Problem, denn die Corvette verfügt doch über ein Head-Up-Display, dass auf Wunsch nicht nur Drehzahl und Navi-Richtung mit anzeigt, sondern auf dem so genannten G-Meter auch die Querbeschleunigung. Ein originelles Detail zwar, es vermittelt aber auch die Erkenntnis, dass Adrenalinschübe mehr zum Fahrvergnügen beitragen als nüchterne Ziffern um 1 g. Die Uhrensammlung im Instrumententräger ist noch das ansehnlichste Werkstück im Cockpit. Design und Oberflächen verströmen den Charme der 90er Jahre, ein bisschen mehr Originalität und Schick hätte der C6-Ausgabe gut zu Gesicht gestanden. Die elektromagnetischen Türöffner, die sich das Fahrzeug mit dem parallel entwickelten Cadillac XLR teilt, sind auf die Dauer eher lästig als praktisch.

Üppiges Ladevolumen

Der Innenraum der Corvette C6 Foto: Werk

In den Sprintdisziplinen also immer auf dem Treppchen, zeigt die Corvette als Langstrecklerin noch weitere erstaunliche Qualitäten. Wer den 1,35 Meter breiten, gähnenden Schlund der Heckklappe öffnet, wird erstaunt sein, was über das bei Sportwagen übliche kleine Wochenend-Gepäck noch alles unter der Glaskuppel verschwinden kann. 634 Liter Ladevolumen sind ein üppiger Wert. Unter der Klappe wird auch das herausnehmbare Dachteil aufbewahrt, wenn man seinen Vette-Ausflug zur Open-Air-Veranstaltung machen möchte. Für leicht verderbliche Ware ist der große Kofferraum jedoch nur bedingt geeignet, denn durch das darunter liegende Getriebe und die zweiflutige Auspuffanlage heizt sich der Ladeboden auf längeren Strecken ziemlich auf.

Das Verdecksystem der Corvette C6 Foto: Werk

Wie wirtschaftlich der V8 über große Distanzen mit dem Kraftstoff umgeht, verdient Respekt. Auf einer rund 500 Kilometer langen Vergleichsfahrt mit einem Dreiliter-Sportwagen genehmigte sich die «Vette» lediglich einen halben Liter Sprit je 100 Kilometer mehr als der Konkurrent - der Verbrauch liegt bei 12 Liter. Und das bei etwa einem Drittel Kurzstreckenanteil. Erklärbar wird dieses Phänomen unter anderem damit, dass der «Small Block» beim 200 km/h mit lediglich 2500 Umdrehungen dahin schnurrt.

In der Liga der 300km/h-Boliden sind sechsstellige Anschaffungspreise die Regel. Um so verblüffender, dass die für deutsche Produkte dieser Kategorie offenbar fällige Vergnügungssteuer nicht berechnet wird. Ein Genussmittel wie die ist Corvette für rund 70.000 Euro in einer (fast) kompletten Ausstattung zu haben. Dazu gehören Lederausstattung und DVD-Navigation mit Spracherkennung, Bose-Soundssystem und CD-Wechsler, elektrisch verstell- und beheizbare Sitze sowie ein Reifendruck-Kontrollsystem und Run-Flat-Pneus.

Nur eine Einparkhilfe ist im Herstellerprogramm nicht vorgesehen, obwohl sie im Hinblick auf die beschämenden Sichtverhältnisse nach hinten durchaus angebracht wäre. Der Händler in Deutschland hat das erkannt und bietet ein Nachrüst-System an.

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