Nissan GT-R: Heißer Supersportler aus Fernost

Kampfansage an Porsche und Co.

Nissan GT-R: Heißer Supersportler aus Fernost
Der Nissan GT-R ist ein wahrer Supersportler © Nissan

Der Nissan GT-R zerbröselt das Image der ehemals „Reisschüsseln“ genannten Produkte aus Japan in Sekundenschnelle. Der Supersportwagen zeigt sich in allen Situationen gierig, leider auch beim Verbrauch.

Von Markus Henrichs

Muskeln sind auch bei Autos nicht alles. Aber sie machen verdammt sexy. Erst recht, wenn sie wohlproportioniert und mit viel Charakter daherkommen. Nissans Sportskanone GT-R ist so ein sexy automobiler Supertyp - und ein Modellathlet wie aus dem Bilderbuch.

In 3,5 Sekunden auf 100 km/h

Mit seiner extrem kraftvollen Schulterpartie kauert der 4,65 Meter lange Nippon-Bolide so tief und tatendurstig auf dem Asphalt wie ein Sprinter, der im Startblock kauernd auf den Schuss wartet. Dass die breiten Schultern und die vier armdicken Auspuffrohre kein billiges Blendwerk, sondern reine Notwendigkeit sind, wird klar, sobald sich der Finger des Fahrers auf den Startknopf legt. Dann nämlich ertönt ein markerschütternder Sechszylinder-Sound, der spätestens beim ersten, noch verhaltenen Druck aufs Gaspedal zu jenem vollmundigen Röhren wird, das PS-Junkies und motorsportaffinen Menschen das Adrenalin in die Adern pumpt.

Aber der GT-R klingt nicht nur wie eine akustisch krampfhaft aufgemotzte Sportskanone, er ist auch eine: Auf Pedaldruck geht der 357 kW /486 PS starke Japaner ab wie ein 100 Meter-Sprinter, der den Mannschaftsbus zum olympischen Finale verpasst hat. Tempo 100 erreicht der für zwei Erwachsene und zwei Kinder gebaute GT-R im Idealfall in 3,5 Sekunden. Das sind immer noch vier Zehntelsekunden weniger als ein Porsche 911 GT3 4.0 für dieselbe Schnellkraftübung braucht.

Zwischenzeiten und G-Faktor auf Display

Zahlreiche Anzeigen auf dem Display des Nissan GT-R Nissan

Wer es nicht glauben mag - ein Blick auf das sechsgeteilte zentrale Digital-Display genügt. In bester Spielekonsolen-Manier spuckt es nicht nur Zwischenzeiten auf die Hundertstelsekunde genau aus, sondern gibt unter anderem auch Aufschluss über Motoröltemperatur, Getriebeöldruck und Drehmomentsverteilung. Das ist kein Zufall, denn für die Entwicklung der Infotainmentsysteme haben die Väter der Playstation verantwortlich gezeichnet. Sogar der G-Faktor, also die auf den Körper des Piloten einwirkenden Fliehkräfte werden angezeigt. Schnickschnack? Ausdruck fernöstlichen Elektronik-Spieltriebs? Mag sein, aber einer, der herrlich zum Charakter dieses Autos passt.

Geschaltet wird wahlweise über ultraschnell reagierende Lenkradschaltwippen oder per Automatik. Zur Wahl stehen drei Fahrmodi, die sich per Kippschalter wechseln lassen. Für spontane Rückmeldung von der Straße sorgt ein individuell abstimmbares Sportfahrwerk, dass förmlich vorauszuahnen scheint, was der Pilot von ihm will. Mustergültig unterstützt beim schnellen Scheuchen um enge Ecken und spitze Kehren wird der Fahrer dabei von einer aluminiumgeschmiedeten Mehrlenkerhinterachse.

Bestzeiten auf dem Nürburgring

Gut und vergleichsweise günstig ist der Nissan GT-R Nissan

Der Nippon-Bolide holt aus seinem doppelt aufgeladenen 3,8 Liter-V6-Motor ein maximales Drehmoment von 588 Nm, welches zwischen 3200 und 5200 Umdrehungen pro Minute anliegt. Von einem variablen Allradantrieb wird es über ein Sechsgang-Doppelkupplungsgetriebe bedarfsgerecht an alle vier Räder verteilt. Leistungsdaten, die von der bereits bestellbaren, optisch moderat modellgepflegten Neuauflage künftig noch einmal getoppt werden: Diese wartet gar mit 390 kW/530 PS auf und schafft den Standardsprint von null auf 100 km/h in sagenhaften 3,1 Sekunden.

Derart brachial motorisiert bläst der Japaner zum Überholmanöver auf erklärte Sportskanonen wie Porsche 911, Mercedes AMG und Co. Diesen und anderen Rivalen der Rennbahn hat der asiatische Sportstar in seiner Modell-Karriere reihenweise Bestzeiten abgejagt, unter anderem bei Vergleichsfahrten auf der prestigeträchtigen Nürburgring-Nordschleife. Zudem kostet er auch in der gut 90.000 Euro teuren Neuauflage nur einen Bruchteil dessen, was etwa italienische Edelautoschmieden wie Lamborghini für ihre Sportskanonen aufrufen.

Waschechter Nippon-Sportler

In den Kofferraum des Nissan GT-R passen zwei Wasserkisten Nissan

Mit diesem Automobil gewordenen Power-Typen sind die Japaner vor drei Jahren in Europa angetreten, um ein für alle Mal aufzuräumen mit dem Klischee der "Reis-Schüssel". So lautete hierzulande die leicht abschätzige Bezeichnung für auf reine Sportlichkeit getrimmte, vergleichsweise günstig produzierte Fahrmaschinen aus Fernost.

Ganz anders gibt sich da der GT-R. Keinen windigen Muskelprotz, keinen Abklatsch hiesiger Vorbilder, sondern einen waschechten Nipponsportler haben die Japaner da auf die 20-Zoll-Räder gestellt, der es locker mit jedem internationalen Wettbewerber aufnehmen kann. Denn High Tech ist Trumpf im GT-R. Aus fast jeder Karbonfaser dieses Autos spricht die Absicht der Erfinder, aufzuräumen mit dem Klischee der vermeintlich bemitleidenswerten "Möchtegern-Sportwagen" aus Fernost.

Erlebnis der Extraklasse

Leider schnellt mit jedem Zwischensprint auch der Kraftstoffkonsum sprunghaft an. Dann stehen 25 bis 30 Liter Superbenzin auf dem Momentanverbrauchs-Display zu Buche und die angezeigte Reichweite fällt bei Beschleunigungsmanövern schlagartig um 40 Kilometer zurück. Im Schnitt kam der Testwagen bei moderater Fahrweise immer noch auf einen Verbrauch von 15,4 Litern.

Aber dieser Supersportwagen "made in Japan" ist eben in erster Linie ein Leistungssportler mit Straßenzulassung. Als solcher entzieht er sich den meisten Kategorien des automobilen Alltags und darf auch mal Durst haben. Apropos trinken: Der überschaubare Kofferraum verpackt zwei Kästen Wasser sowie eine Handvoll Einkäufe. Ablageflächen im Innenraum sind allerdings Mangelware, von zwei in die Mittelkonsole integrierten Getränkehaltern einmal abgesehen. Sogar das Handschuhfach bietet nicht viel mehr Platz, als für Bedienungsanleitung und Fahrzeugpapiere nötig ist. Aber so ein GT-R ist ja eben auch kein Einkaufswagen. All diese Tugenden und technischen Finessen machen den GT-R unter dem Strich zu einem echt charakterstarken Supersportwagen. Ein Ausritt mit ihm ist ein automobiles Erlebnis der Extraklasse und das nicht nur für Freunde fernöstlicher (Fahr-)Kultur. (mid)

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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