Lotus und Porsche: Ähnliche Basis – verschiedene Wege

Exige S Roadster vs. Boxster S

Lotus und Porsche: Ähnliche Basis – verschiedene Wege
Lotus Exige S und Porsche Boxster basieren auf gleichem Konzept. © SP-X

Lotus Exige S Roadster und Porsche Boxster S sind von der Konzeption nah beieinander. Doch bei der Ausführung fahren die beiden Mittelmotor-Sportler völlig verschiedene Wege.

Um Kritikern gleich den Wind aus dem Haar zu nehmen: Ja, es soll Leute geben, die einen Porsche Boxster als Hauptfahrzeug einsetzen. Doch seine Anlagen machen ihn eigentlich zum idealen Zweitwagen. Zwei Sitzplätze, knapp bemessener, aber nicht enger Innenraum und Stoffverdeck, bei schönem Wetter leicht zu öffnen. Und dann der 3,4 Liter große Mittelmotor im Boxer-Style mit üppigen 232 kW/315 PS bei einem Leergewicht von weniger als 1,4 Tonnen. Merken Sie etwas? Da ruft die Rennstrecke.

Verzicht beim Lotus Exige

Nun zum Lotus Exige. Sein V6-Aggregat sitzt auch in der Mitte, leistet 258 kW/350 PS, und der Roadster bringt zudem nicht einmal 1,2 Tonnen auf die Waage. Ein elektronisches Stabilitätsprogramm haben die Ingenieure dem Briten gerade noch spendiert, kommen damit aber letztlich nur ihrer gesetzlichen Pflicht nach.

So viel zur Theorie, jetzt wird gefahren. Und dazu muss man schließlich erst einmal einsteigen – beim Lotus ein wahrhaft akrobatisches Manöver. Wegen der breiten Schweller sollte man also selbst eine kleine Portion Sportlichkeit mitbringen. Erst die Beine rein, dann abstützen und irgendwie rein in die kleine Fahrgastzelle. Aluminium-Elemente im Fußraum lassen ahnen, was beim Exige Sache ist.

Schweres Toyota-Triebwerk im Lotus Exige

Lotus Exige S und Porsche Boxster basieren auf gleichem Konzept.
Purer Purismus im Cockpit des Lotus Exige SP-X

Denn unter der etwas zerklüftet anmutenden Haut steckt ein geklebtes Leichtmetall-Chassis. Wegen des relativ schweren Toyota-Triebwerks ist das Leergewicht allerdings mit knapp 1,2 Tonnen aber gar nicht so gering wie man angesichts der Karosserie und der kargen Ausstattung glauben könnte. Gegen Aufpreis gönnt der Hersteller den Insassen immerhin kleinere Komfort-Extras wie Klimaanlage (1650 Euro) oder Sitzheizung (450 Euro) – pures Autofahren hin oder her.

Wie bitte, Komfort? Vergiss es, das drahtige Gestühl ist perfekt für den Kurs, aber strapaziös auf der Langstrecke. Dafür bleiben die Passagiere auch bei extremer Querbeschleunigung fest umklammert in der Sitzmitte, um jederzeit Herr über das Lenkrad und die Fahrrichtung zu sein. Der Volant geht stramm, frei von jeder Unterstützung, zackig in den Richtungswechseln. Der Hecktriebler giert nach Kurven, besitzt verschiedene ESP-Modi, um ebenso verschiedene Fahrtalente an die kürzere oder längere Leine zu nehmen. Bei Bedarf lässt sich der Rettungsanker auch ausschalten.

Auf der Geraden schlägt dann die Stunde des Kompressors. Füllig und leichtfüßig dreht das 3,5-Liter-Aggregat posaunend bis 7000 Touren und sorgt für angespannte Nackenmuskeln. Nur in der Höchstgeschwindigkeit haben die Konstrukteure den Roadster auf fast schon jämmerliche 233 Sachen begrenzt.

Porsche Boxster als fast schon normales Auto

Lotus Exige S und Porsche Boxster basieren auf gleichem Konzept.
Viel Luxus im Porsche Boxster S SP-X

Da kontert der Porsche lässig mit fast 280 km/h. Er mag vielleicht der Schnellere sein in diesem Vergleich, aber echte Lotus-Freunde können darüber nur müde lächeln. Einsteigen in den Boxster, na und? Dabei fällt nichts Besonderes auf, der Zuffenhausener ist quasi ein normales Auto. Wo die Innenarchitekten beim Exige zwei eher billig wirkende Einfach-Anzeigen für Drehzahl und Tempo platzierten, zieht der Boxster das ganze Register der anno 2015 beim Sportwagenhersteller aus Stuttgart üblichen Infotainments. Und wo beim Briten ein DIN-Schacht-Radio aus dem Zubehör hockt, winkt beim Schwaben ein ausladender Monitor.

Der große Drehzahlmesser gehört beim Porsche in die Mitte. Klar, Tradition und so. Genauso muss heute TFT-Technik in ein modernes Auto, so ist die rechte der drei Skalen flexibel und kann die G-Kräfte bei der Querbeschleunigung auf Wunsch ebenso anzeigen wie die Straßenkarte der Navigation. Stichwort Querbeschleunigung: Der Boxster mit dem bissigen Sauger und betörendem Sound kann es natürlich auch. Quer durch die Kurve, gezielter Schlupf an der Hinterachse und Rauch aus den Radhäusern. Die Lenkung arbeitet mit elektrischer Unterstützung, vermittelt aber dennoch eine geballte Ladung Fahrbahnkontakt. Als Hightech-Duftmarke bietet er darüber hinaus eine variable Lenkübersetzung für angemessene Kurswechsel auf windungsreichen Landstraßen und kommodes Verhalten in der City oder auf der Autobahn.

Porsche Boxster Erstwagen-tauglich

Lotus Exige S und Porsche Boxster basieren auf gleichem Konzept.
Ähnliches Konzept - verschiedene Ausführungen SP-X

Dass der Porsche den Mainstream anzieht, liegt nicht zuletzt an seiner Vielfältigkeit. Hinters Steuer und von Köln nach München – kein Problem. Die Sitze sind sportlich, aber zugleich auch komfortabel, die Dämpfer können gegen 1428 Euro in ihrer Kennlinie angepasst werden. Damit innen stets ein kuscheliges Klima herrscht, sind die Sessel gegen 928 Euro Aufpreis nicht nur beheizt, sondern auch belüftet. Für weitere 267 Euro gibt es sogar eine Lenkrad-Heizung. Das einst in der automobilen Oberklasse geborene schlüssellose Schließsystem wandert gegen 880 Euro ebenfalls an Bord, und ein aktiver Tempomat kostet 2011 Euro Aufpreis.

Doch Moment, so schnell gibt sich der Lotus nicht geschlagen – Tempomat sowie USB-Anschluss dürfen die Kunden gegen 450 Euro auch bei ihm genießen, damit sie zumindest ein Quäntchen Langstrecken-Fähigkeit sowie Unterhaltung erhaschen. Mit einem Grundpreis von 69.040 Euro ist der Exige S in der Frischluftausführung (die beiden Dachhälften können herausgenommen werden) ein kostspieliger Individualist – aber er ist die Sünde wert. Die im Vergleich dazu günstig erscheinenden 61.381 Euro für den Boxster S sind wohl eher theoretischer Natur, denn mit ein paar Sonderausstattungen fließen rasch 80.000 oder gar 90.000 Euro. Dafür ist beim Lotus auf jeden Fall noch ein Erstwagen nötig. Oder man nimmt für weite Reisen oder bei schlechtem Wetter gleich die Bahn. Doch welcher Autofan will das schon? (SP-X)

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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