Cadillac XTS: Ein bisschen europäischer

Vornehme Limousine

Cadillac XTS: Ein bisschen europäischer
Der Cadillac XTS hat sich stark gewandelt. © Cadillac

Der Cadillac XTS hat mit den großen amerikanischen Straßenkreuzern kaum noch etwas gemein. Trotz des Bemühens um europäische Qualitäten bleibt das Flaggschiff der GM-Tochter ein typischer Vertreter der neuen Welt.

Das soll das neue Flaggschiff von Cadillac sein? Wer noch schwülstige Prunkschiffe wie den Eldorado oder den Fleetwood in der Erinnerung hat, dem kommt der im letzten Sommer eingeführte XTS vergleichsweise nüchtern und klein vor. Denn nicht nur das Design ist viel klarer und kantiger, als man es von einem amerikanischen Straßenkreuzer erwarten würde, und wirkt dabei so modern, dass die Luxusmarke endlich ihr Rentnerimage abschütteln kann. Auch im Format hat sich die vornehme GM-Tochter buchstäblich zurückgenommen: Mit 5,13 Metern fällt der XTS sogar kürzer aus als ein BMW Siebener oder eine Mercedes S-Klasse. Und trotzdem ist er aktuell die größte und vornehmste Limousine, die man bei den Big Three aus Detroit kaufen kann. Mehr Prunk und Protz gibt es nur bei den feudalen Geländewagen.

Cadillac XTS auf gestreckter Opel Insignia-Plattform

Bei der Entwicklung des XTS haben die Amerikaner deutlich über den Atlantik geschielt und sich um europäische Qualitäten bemüht – nicht nur, weil unter dem Cadillac die gestreckte Plattform des Opel Insignia steckt. Nicht mehr üppige Beliebigkeit, Platz um jeden Preis und Bling Bling statt Hightech waren die Zielvorgabe. Ihr aktuelles Flaggschiff sollte wirklich vornehm sein, eher maßgeschneidert als überbordend wirken, technisch mit den Europäern mithalten und auch auf der Straße eine gewisse Bestimmtheit bieten.

Wenn man ältere Luxuslimousinen von Cadillac kennt, haben die Amerikaner dieses Ziel tatsächlich erreicht. Denn das Ambiente mit viel Leder, Chromleisten und Holzintarsien ist stilvoll. Die komplett animierten Instrumente können es mit jedem Tablet-Computer aufnehmen, das Head-Up-Display erinnert nicht mehr an Science-Fiction-Filme aus den frühen Fünfzigern und die Infotainment-Zentrale in der Mittelkonsole sieht so schmuck aus wie ein iPad. Nur dass sich der Touchscreen und die Sensortasten nicht ganz so sensibel bedienen lassen. Dazu gibt es zwar noch immer genügend Platz auf allen Plätzen. Doch ist der Innenraum nicht mehr so weitläufig, dass man sich förmlich darin verliert. Und selbst die Sitze zeugen von einer neuen Bestimmtheit: Früher gerne mal so breit und bequem wie die TV-Sessel in amerikanischen Wohnzimmern, bieten sie nun sogar einen Hauch von Seitenhalt.

Cadillac bei Assistenzsystemen weit zurück

Doch bei aller neu entdeckten Gründlichkeit hält der XTS den Vergleich mit den Luxuslinern aus Deutschland oder Japan nicht Stand. Dagegen wirkt die Materialauswahl dann doch zu billig, die Verarbeitung zu nachlässig und vor allem die Technik nicht weit genug. Denn auch wenn es gegen Aufpreis eine Abstandsregelung oder eine Spurführungshilfe gibt, ist Cadillac bei den Assistenzsystemen noch mindestens eine Generation zurück.

Und dann erst das Fahren: Da kommt echtes Ami-Feeling auf. Das Magnetic Ride-Fahrwerk passt sich zwar alle fünf Millisekunden der Straße an, ist aber betont komfortabel ausgelegt. Weil Cadillac den XTS nicht exportiert und sich nicht einmal die freien Importeure an dem Luxusliner vergreifen, konnten sich die Amerikaner ganz auf den Geschmack ihrer Landsleute konzentrieren – und die mögen es beim Autofahren eben gerne butterweich. Dazu passt auch die Lenkung, die wie gemacht ist für Highways, die wie mit dem Lineal gezogen sind, und für Landstraßen, die sich ganz sanft durch die Canyons schlängeln.

Wo Exportmodelle wie der CTS und mehr noch der ATS mit Heckantrieb und scharfer Straßenlage überraschen und sich selbst auf der Nordschleife gut behaupten, fühlt sich der frontgetriebene XTS plötzlich doch wieder an wie ein echter Ami-Schlitten, mit dem man stunden-, nein tagelang durch die endlosen Weiten schippern kann und erst wieder aussteigen möchte, wenn der Atlantik im Rückspiegel dem Pazifik vor der Windschutzscheibe Platz gemacht hat.

Sechs statt acht Zylinder für den Cadillac XTS

Der Cadillac XTS hat sich stark gewandelt.
Stilvolles Ambiente im Cadillac XTS Cadillac

So typisch wie das Fahrgefühl, so wenig amerikanisch ist der Antrieb. Denn den üppigen V8-Motor sucht man unter der Haube vergebens. Stattdessen verliert sich dort ein Sechszylinder mit 3,6 Litern und 223 kW/304 PS, der mit einer eher gemütlichen Sechsgang-Automatik verblockt ist. Beim Cruisen eine wunderbar entspannte und sogar halbwegs sparsame Kombination, die nicht viel Wirbel macht und leise dahin säuselt, tut sich der Sechszylinder mit einer forschen Fahrweise ein bisschen schwerer. Aber wer will schon forsch fahren im Mutterland des Tempolimits, wo selbst hinter dem einzigen Busch in einer weiten Wüstenlandschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit der Sheriff mit seiner Radarpistole lauert?

Also lässt man die Drehzahl schön im Keller, hält lieber auf Motown- als Motorensound und freut sich an der gemütlichen Gangart. Viel mehr ist bei einem Sprintwert von 0 auf 100 in 6,5 Sekunden und vor allem bei einem Spitzentempo von 210 km/h auch nicht drin. Und wer’s trotzdem wissen will, kann den V6 ja auch bald mit Doppelturbo und dann stolzen 301 kW/410 PS bestellen.

Cadillac XTS als Schnäppchen

Der Cadillac XTS hat eine große Wandlung hinter sich gebracht.
Die Preise für den Cadillac XTS beginnen bei 44.075 Dollar Cadillac

Der Zuschnitt mag europäisch sein und der Motor auch. Doch mehr noch als das Fahrverhalten ist vor allem der Preis typisch amerikanisch. Denn wie so viele US-Autos ist der XTS ein echtes Schnäppchen. In der Basisversion gibt es ihn schon ab 44.075 Dollar, das sind rund 10.000 Dollar weniger als Mercedes für eine E-Klasse verlangt.

Und selbst wer den XTS mit Furz und Feuerstein aufrüstet und statt Front- auf Allradantrieb wechselt, bleibt noch mehr als 20.000 Dollar unter einer S-Klasse. Kein Wunder also, dass immer mehr Amerikaner wieder ihre eigenen Autos entdecken und Cadillac im ersten Halbjahr zu der am schnellsten wachsenden Luxusmarke in Amerika gemacht haben. (SP-X)

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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