Yamaha YZF-R6: Brutaler Macho-Auftritt

Die überarbeitet Yamaha YZF-R6 bezirzt mit brachialer Motorpower und sportlicher Eleganz. Für Landstraßen eignet sich die Supersportler aber nur bedingt.

Von Thilo Kozik

Alle zwei Jahre überarbeiten die japanischen Motorrad-Giganten ihre Supersport-Motorräder, in diesem Jahr waren bei Honda, Kawasaki und Yamaha die quirligen 600er dran, bei Suzuki stürzten sich die Ingenieure auf die GSX-R 1000. Grund genug also, die kräftig überarbeitete YZF-R6 etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Dabei fällt auf, dass Yamaha bei der Optik seiner bislang eingeschlagenen Linie für die Supersportler treu bleibt, auch die neue R6 bezirzt unverändert mit sportlicher Eleganz statt brutalem Macho-Auftritt.

Die tief greifende Überarbeitung macht sich beim Erscheinungsbild auf den ersten Blick gar nicht bemerkbar - die Modifikationen fanden zum großen Teil unter der Plastikhülle statt: Auf 40 Millimeter im Durchmesser vergrößerte Drosselklappen machten geänderte Ansaugwege notwendig, um die Pulsationseffekte zu optimieren. Diese Maßnahmen änderten leider nichts am kritisierten Ansprechverhalten des Vorgängermodells: Schon beim Losfahren nerven leichte Verzögerungen beim Umsetzen der Gasgriffbefehle, und unangenehme Lastwechsel im Antriebsstrang sind kein Zier, sondern stören die Linienwahl nachhaltig. Erst nach etwas Eingewöhnung kann man das neue Potenzial des Reihenvierzylinders abrufen: Dann stampft die R6 mächtig aus Senken und engen Kurven, dass es eine wahre Pracht ist.

Ab 8500 Touren geht die Post ab

Festhalten: Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 265 km/h. Foto: Quelle

Gerade oben herum fühlt sie sich richtig wohl: wenn anderen Sechshundertern bereits die Puste ausgeht, schlägt die Stunde der drehfreudigen YZF-R6. Ab 8500 Touren zieht sie leicht und locker in Bereiche, wo der gut sichtbare Schaltblitz zum Einlegen der nächsten Fahrstufe gemahnt. Die im Prospekt versprochenen 120 PS scheinen nicht utopisch zu sein. Endlich halten die 600er das, was die Marketingleute schon länger versprechen. Das mündet bei der R6 in einer Höchstgeschwindigkeit von 265 km/h, was sich bestenfalls am Sonntagmorgen auf der leeren Autobahn auskosten lässt.

Fahrwerk komplett überarbeitet

Noch intensiver als am Motor werkelte die Yamaha-Entwicklungsabteilung am Fahrwerk. Erstes Opfer der Maßnahmen war der ungewöhnliche 60er Querschnitt am Vorderrad, mit dem sich die R6 seit ihrem Erscheinen herumplagte. Jetzt trägt sie wie alle anderen Konkurrentinnen auch einen klassenüblichen 120/70er Pneu. Dazu implantierten die Entwickler eine mächtige Upside-Down-Gabel, mit der die zuvor extrem handliche Fahrwerksgeometrie deutlich abgemildert wurde: 95 statt 86 mm Nachlauf und ein moderat längerer Radstand samt weniger steilerem Lenkkopfwinkel machen die R6 deutlich stabiler in Schräglage und nehmen ihr die Nervosität, an der die Vorgängerin krankte. Straff abgestimmt profitiert ihr Fahrer zudem vom klaren Feedback, das die guten Michelin Pilot Power-Pneus liefern. So heizt die R6 knackig durch schnelle Bögen und handlich durch knifflige Kurvenkombinationen, das Einlenkverhalten fällt leichtfüßig und dennoch harmonisch aus. Nur beim brachialen Durchladen auf unlimitierte Geraden zuckt es leicht im Lenker als Folge der potenten Kraftentwicklung. Bei Bedarf schafft hier ein Öhlins-Lenkungsdämpfer Abhilfe, der im Yamaha-Originalzubehör zu einem Kurs von 555 Euro zu haben ist.

Hervorragende Bremsen

Die Bremsen sind auf den Punkt dosierbar. Foto: Werk

Überhaupt kein Nachbesserungsbedarf besteht bei den Stopporganen: Die neuen Vierkolben-Festsattelzangen, jetzt radial angeschlagen und von einer feinen Radialpumpe exakt angesteuert, packen fest zu - dazu noch auf den Punkt dosierbar. So schafft die neue R6 jede Menge vertrauen in die Stopper und lässt die Bremspunkte auf Renn- wie Hausstrecke innerhalb weniger Stunden weiter nach hinten wandern, ganz ohne Schweißperlen unterm Helm.

Für den gemäßigten Landstraßeneinsatz taugt der neue Supersportler von Yamaha dennoch nur bedingt. Im ganz normalen Alltag erweist sich die Ergonomie eindeutig als zu sportlich geraten, zudem nervt die nach wie vor knorrige Getriebebetätigung. Geht es um brachiale Motorpower mit Racingappeal, führt kein Weg an der Yamaha vorbei - nicht zuletzt wegen der ausgezeichneten Bremsen. Das muss dem Freund der Marke mit den drei Stimmgabeln 9995 Euro wert sein, ein Preis, der auf Wettbewerbsniveau liegt.

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