Tesla Model S: Wahnsinn mit Methode

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Tesla Model S: Wahnsinn mit Methode
Das Modell S von Tesla. © Tesla

Das Tesla Model 3 soll der Stromer für alle werden, das Model S ist eher etwas für Besserverdienende. Dennoch erfreut es sich auch hierzulande wachsenden Zuspruchs. Mit Hochspannung widmet sich unser Fahrbericht deshalb dem Spitzenmodell P 90 D.

Von Axel F. Busse

Beim Verkauf in den USA hängt der Luxus-Stromer sogar die arrivierten S-Klassen, 7er-BMW und Audi A8 ab, hierzulande kommt der Absatz erst langsam in Fahrt. Doch im vergangenen Jahr hat das Kraftfahrtbundesamt immerhin 1582 deutsche Neulassungen gezählt, beim Porsche Panamera waren es nur geringfügig mehr. Wer sich ein Model S in die Garage stellt, weiß, dass die Nutzung anderen Gesetzmäßigkeiten folgt, als bei konventionell angetriebenen Autos. Mal eben zur Tanke ist nicht.

Zu schwer, zu teuer, zu wenig Reichweite – das sind die Vorurteile, die den Absatz von Elektromobilen hemmen. Zwei dieser Eigenschaften sind beim Tesla schwer zu widerlegen. Der Testwagen wog 2290 Kilogramm und kostete fast 146.000 Euro. Zur Fahrzeugmasse, die jedem Full-Size-SUV zur Ehre gereichen würde, trägt die 90-kWh-Batterie rund 800 Kilogramm bei. Geringe Reichweite? Der Hersteller gibt 550 Kilometer an, unter idealen Voraussetzungen. Außentemperaturen zwischen null und zehn Grad Celsius, wie bei diesem Test, zählen nicht zu den Ideal-Bedingungen, doch die Reichweiten-Anzeige errechnete immerhin 420 Kilometer nach einer vollen Nacht am Netz.

High-Tech-Kosmetik beim Tesla Model S

Fünfzig Prozent der Kaufentscheidung für einen Pkw werden vom Design bestimmt – behaupten Designer. Dass der Tesla in der Optik-Wertung punktet, steht außer Frage. Fast fünf Meter Eleganz und Harmonie, ein weicher Schwung zieht sich von der tief geduckten Frontpartie bis hinüber zur Abrisskante an der Heckklappe. Die kann sich der Kunde auf Wunsch noch mit einem Spoiler aus Karbon veredeln lassen. Ob aber bei dem 1100 Euro teuren Zierrat aus High-Tech-Werkstoff Kosten und Nutzen in einem gesunden Verhältnis stehen, ist zumindest fraglich.

Absolut sinnvoll und obendrein ein Augenschmaus sind die versenkbaren Türgriffe unter den rahmenlosen Seitenscheiben. In Ruhestellung sind sie bündig im Türblatt verschwunden, tragen also zum sehr guten Aerodynamikwert von cW=0,24 bei. Ausgefahren sind es stabile verchromte Bügel, mit denen man auch dann noch ordentlich Öffnungskraft auf die Tür ausüben kann, wenn sich nach einer Karambolage mal etwas verkeilt haben sollte. Die Sommerbereifung wird auf mächtige 21-Zoll-Felgen gezogen, aber auch mit Winterbereifung (19 Zoll) gibt der von Franz von Holzhausen gezeichnete Viertürer ein stimmiges Gesamtkunstwerk ab.

Immerhin 17 Zoll hat der größte Bildschirm, der gegenwärtig in einem Pkw zu haben ist. Er bestimmt nicht nur optisch das Cockpit, sondern ist die Kommandozentrale schlechthin: Außer den Tasten für Handschuhfach, Warnblinkanlage, Spiegel- und Fensterbedienung gibt es keine weiteren Bedienknöpfe. Navigation und Unterhaltung, Internetzugriff und Telefon, Klima, Fahrmodi und Energiemanagement werden bis hin zu Sitzheizung und Bordbuch über die senkrecht stehende Touchscreen geregelt.

Schöne Grüße von Mercedes

Das Tesla Model S soll bis zu 550 Kilometer rein elektrisch zurücklegen.
Die Reichweite ist der wichtigste Wert vor dem Lenkrad Tesla

Wer von diesem Elektroauto einen selbstbewusst platzierten, kunstvoll gestylten und auffälligen Startknopf erwartet, wird enttäuscht. Der Wagen ist betriebsbereit, sobald Fahrer oder Fahrerin Platz genommen haben. Vor den ersten lautlosen Metern noch eine kleine Überraschung für ehemalige Mercedes-Fahrer: Die Lenkstockhebel, mit dem Fahrtrichtung und Parkfunktion bestimmt werden, sind identisch mit denen einiger Benz-Modelle, sie stammen vom gleichen Zulieferer.

Von der eleganten Erhabenheit, die von der Karosserie ausgeht, ist im Innenraum nicht viel zu sehen. Das Ambiente macht einen eher reduzierten Eindruck, das liegt nicht nur an der Sparsamkeit der Schalter. Zwar gibt es eine Mittelkonsole zum Nachrüsten, doch ohne sie wirkt der Raum zwischen Monitor und Vordersitzen nackt und unfertig. Angeblich schätzen Frauen die schlichte Kunststoffwanne zum Abstellen einer Handtasche, doch wäre für eine Luxus-Limousine (zu einem Luxuspreis) eine geschmackvollere Innenarchitektur angebracht. Überdies zeigt sich auf unebener Fahrbahn die Schattenseite der fast lautlosen Bewegung: Die Bauteile geben Verwindungsgeräusche von sich, allenthalben hört man es irgendwo knistern, zirpen und knacken.

Tesla Model S teilautonom unterwegs

Das Model S von Tesla.
Der Fahrer kann sich zurücklehnen Tesla

Am Komfort- und Ausstattungsniveau gibt es nichts zu tadeln. Das Dekor macht einen hochwertigen Eindruck und obwohl die Sicht nach hinten nicht besonders gut ist, erlauben Parksensoren und Rückfahrkamera sicheres Navigieren. Über den Abstand zu umliegenden Hindernissen wird zentimetergenau im Display informiert. Lederpolster, Licht- und Regensensor, Xenon-Scheinwerfer, Zwei-Zonen-Klimaautomatik, WLAN-Bereitschaft und Audio-Anlage bieten standesgemäße Annehmlichkeiten.

In den „Autopilot-Komfortmerkmalen“ (+2700 Euro) sind nicht nur Einparkautomatik und Totwinkel-Assistent verwirklicht, sondern auch die Fähigkeit, das Auto bei reizarmer Langstreckenfahrt weitgehend sich selbst zu überlassen. Die Sensorik steuert auf Anforderung Tempo und Abstand zum Vordermann, erkennt Fahrspur-Markierungen und hält den Wagen auch bei Kurvenfahrt auf Kurs. Zwar kann das Auto so tatsächlich selbstständig fahren, doch wer in dieser Situation Neigung zeigt, das Lenkrad loszulassen, wird vom Computer sanft an seine Pflichten erinnert.

Je ein Motor pro Achse

Tesla hat sein Absatzziel für das erste Halbjahr erreicht.
100 Kilometer Reichweite sind in 20 Minuten aufgeladen . . . Tesla

Um den Namen des Fahrzeugs „Tesla Model S P90D“ vorzulesen, vergehen etwa drei Sekunden. Hat man gleichzeitig kräftig aufs „Gas“-Pedal getreten, sind beim Buchstaben „D“ schon 100 Stundenkilometer erreicht. Niedergeschrieben klingt das entspannt, erlebt ist es schier atemberaubend. Mit 1,12-facher Erdbeschleunigung – das hat ein Fachmagazin mal gemessen – werden die Insassen in die Sitze gepresst. Porsche-Besitzer sind den Tränen nah, ungewarnte Beifahrer schlagen mit dem Hinterkopf an die Nackenstütze. Ihre Reaktionen kann man auf Youtube sehen. Nicht vergessen: Die Fuhre wiegt samt Insassen fast 2,5 Tonnen! Die Bezeichnung, die sich der Hersteller für den maximalen Beschleunigungsmodus ausgedacht hat, ist deshalb nicht übertrieben: „Insane“ (Wahnsinn). Der sprichwörtliche geölte Blitz ist langsamer.

Weil jeweils ein Elektromotor auf Vorder- und Hinterachse wirkt, hat das Spitzenmodell gegenüber heckgetriebenen Fahrzeugen erhebliche Traktionsvorteile. Ohne spürbaren Leistungsabfall geht es geradewegs bis auf 130 oder 150 km/h, nur von einem prägnanten Pfeifen begleitet und dem, was der Rollwiderstand der Reifen an Schall erzeugt. Erst jetzt machen sich Windgeräusche bemerkbar, die mit weiter steigendem Tempo aber kaum noch zunehmen. Ab 200 km/h ist die Verbrauchskurve eine nahezu senkrecht verlaufende Linie, ab Tempo 240 färbt sich die digitale Stundenkilometer-Angabe rot ein. Ohne äußere Zeichen der Anstrengung jagt das Model S souverän gen Horizont.

Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass allzu häufiges Ausleben des Beschleunigungs-Wahnsinns die Reichweite enorm reduziert, ein Stromverbrauch von 600 Wattstunden (Wh) je Kilometer ist keine Seltenheit. Die Anpassung an allgemeine Verkehrs-Gepflogenheiten erlaubt jedoch einen Verbrauch von etwa 180 bis 220 Wh pro Kilometer. Der Monitor hilft dabei, den Spaß nicht zu übertreiben. Ein großes Kurvendiagramm zeigt in Echtzeit an, was aus den Zellen gesaugt wird. Bei diesem Test waren es im Schnitt 24 kWh je 100 Kilometer Strecke. Eine solche Reichweite am Supercharger nachzuladen, die Tesla-Fahrer kostenfrei nutzen können, kostet etwa 15 bis 20 Minuten Zeit.

Tesla Model S avanciert für sportliche 3300 Euro zum Siebensitzer

Das Tesla Model S soll bis zu 550 Kilometer rein elektrisch zurücklegen.
. . . aber nicht überall steht ein Supercharger Tesla

Der Einfluss winterlicher Temperaturen auf die Reichweite scheint gering. In den einschlägigen Foren berichten langjährige Tesla-Fahrer von keinen signifikanten Mehrverbräuchen durch Nutzung von Heizung oder Sitzklimatisierung. Wohlige Wärme wird deutlich schneller erreicht als bei herkömmlichen Pkw, die erst den Wasserkreislauf hochfahren müssen. Das Aufladen an der Haushalts-Steckdose ist allerdings eine mühsame Angelegenheit, wenngleich dies schonender für den Akku ist als der Supercharger. Um 100 Kilometer zusätzlichen Aktionsradius zu gewinnen, können – wie beim Testfahrzeug – am Hausnetz schon mal zwei Stunden vergehen. Außerdem reagiert die Bordelektronik sensibel auf etwaige vertauschte Pole des Schuko-Steckers. Doch offenkundig hat Tesla-Motors Fehlleistungen der Model-S-Fahrer einkalkuliert: Der telefonische Notfall-Service ist auch abends und am Wochenende erreichbar.

Die Erwartung an einen üppig dimensionierten Raumgleiter stellt das Model S in vollem Umfang zufrieden. Selbst auf den Rücksitzen herrscht vorbildliche Beinfreiheit. Allerdings sind die Sitze sehr tief angebracht, um unter dem flach abfallenden Dach genügend Kopffreiheit zu garantieren. Deshalb müssen die Fondpassagiere einen recht spitzen Kniewinkel hinnehmen. Für sportliche 3300 Euro kann man das Auto zum Siebensitzer machen. Das aufklappbare Gestühl ist mit wenigen Handgriffen einsatzbereit und Kindern gefällt es, im „Kofferraum“ entgegengesetzt zur Fahrtrichtung unterwegs zu sein. Dass die Polster für Erwachsene nicht taugen, sagt schon die Gewichtsbeschränkung auf 30 Kilogramm. Allen Insassen kommt die serienmäßige Luftfederung zugute, die Bodenfreiheit kann zwischen 120 und 163 Millimetern variiert werden.

Probleme mit der Infrastruktur

Alles, was von einer behaglichen Luxus-Limousine erwartet werden darf, erfüllt das Model S von Tesla. Das Problem dieses Autos liegt weder beim Antrieb, noch in Fahrkomfort oder Ausstattung. Es liegt auf der Landkarte. Zwar baut der Hersteller sein eigenes Ladenetz zügig aus, doch das Stromzapfen wird noch lange nicht so einfach sein, wie das von Benzin. Wer mit einem Model S liebäugelt, braucht nicht nur das nötige Kleingeld, sondern auch Zuversicht in den Ausbau der Infrastruktur. Bis dahin müssen Fahrten klug geplant werden, dann wird es an der Freude am Stromern nicht fehlen.

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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