MV Agusta F4 R 312: Rasende Eleganz

Die MV Agusta F4 R 312 ist das schnellste Serienmotorrad der Welt. Bei Homologationsfahrten fuhr sie 312 km/h. Ob sie wirklich so schnell ist, wissen wir nicht. Doch eines wissen wir schon: dieses Bike ist Atem beraubend.

Von Thilo Kozik

Claudio Castiglione, Chef der italienischen Edelschmiede MV Agusta, ist kein Freund von Kompromissen. Wenn sich japanische Großserienhersteller für ihre großen Supersportler und Sporttourer freiwillig auf 299 km/h Höchstgeschwindigkeit beschränken, dann ist das für ihn so interessant wie ein lauwarmer Espresso.

312 km/h Höchstgeschwindigkeit

Seine Motorräder dürfen gerne zeigen, was sie können. Und so kommt es, dass das neuste Erzeugnis aus Varese eben nicht, wie ursprünglich geplant, F4 1000 RR heißt, sondern F4 R 312. 312 deshalb, weil ein MV-Testpilot bei den Homologationsfahrten auf dem High-Speed-Oval im süditalienischen Nardo eben 312 km/h Spitzengeschwindigkeit erreicht hat. Dieser Speed ist mithin amtlich, steht so in den Fahrzeugpapieren drin und wartet nur darauf, einmal abgerufen zu werden.

Gut, die Rennstrecke von Monza, Ortstermin der Fahrpräsentation dieses neuen Überbrenners, ist trotz relativ langer Geraden nicht unbedingt für solche Geschwindigkeitsräusche geeignet. Aber dank der endlos langen, leicht überhöhten Parabolica-Kurve kann man die MV dennoch mit annähernd 290 über die Piste prügeln. Vorausgesetzt, der Fahrer hat den Mut dazu. Am Motorrad soll die Jagd nach der 300er Marke jedenfalls nicht scheitern.

Ausgefeilte Aerodynamik

Der Vierzylinder-Viertaktmotor der MV Agusta R 312 hat 183 PS Foto: Werk

Um den Widerstand des Fahrtwindes bei diesen Geschwindigkeiten zu brechen, bedarf es einer ausgefeilten Aerodynamik und natürlich adäquater Motorleistung. Um diese zu erreichen, brauchte es ein wenig Feintuning an dem bekannten Vierzylinder-Triebwerk aus der F4 1000 R. So bestehen die Einlassventile aus Titan statt Stahl, wuchs ihr Durchmesser von 28 auf 30 mm, der der Drosselklappen von 46 auf 48 mm. Ein- und Auslassnocken besitzen ein schärferes Profil als bisher für längere Öffnungszeiten.

Und schließlich sind die Ansaugstutzen 10 mm kürzer als bei der 1000 R. Diese Maßnahmen gehen zwar zu Lasten der Leistung im unteren Drehzahlbereich, das macht aber nichts. Denn oben herum, da hat die 312er ordentlich zugelegt. Neun PS mehr stehen auf dem Datenblatt, also 183 bei 12.400 statt 174 bei 11.900 U./min. Dabei verzichtet sie auf die technischen Gimmicks des limitierten Sondermodells F4 1000 Tamburini wie variable Ansaugstutzen. Derlei Schnickschnack triebe den Preis weiter in die Höhe, was einer Massenproduktion im Wege stünde - sofern man bei einer Fertigung von 4000 Stück pro Jahr überhaupt von Massen reden kann.

Begrenzer bei 13.000 U./min.

Kopf runter - Die MV Agusta F 4 R 312 fährt 312 km/h Foto: Werk

Mit dem Wissen geht es hinaus auf die legendäre Monza-Rennstrecke, wo sich schnell herausstellt, dass sich unterhalb von 7000 Umdrehungen leistungsmäßig herzlich wenig tut. Oberhalb dieser Markierung fühlt sich der Motor allerdings deutlich stärker an als das «normale» Tausender F4-Triebwerk.

Die Weber-Marelli-Einspritzanlage reagiert äußerst spontan auf Gasbefehle und katapultiert den Reihenvierer lustvoll hinauf in hohe und höchste Drehzahlregionen, wo erst der Begrenzer beim Gipfel von 13000 Touren dem fröhlichen Treiben ein Ende bereitet. Den im unteren Drehzahlbereich verlorenen Pferdchen mag man vielleicht bei Überholvorgängen auf der Landstraße hinterher trauern, aber ein- oder zweimal runterschalten in der geschmeidig schaltbaren Sechsgangbox macht den Verlust mehr als wett. Ein Tritt, ein Dreh, und im Sekundenbruchteil ist man wieder im leistungsträchtigen Bereich.

Im Gegensatz zum Motor zeigt sich das Fahrwerk gegenüber der 1000 R in keinster Weise angetastet. Es bietet allerdings überhaupt keinen Grund zu Veränderungen. Die Kombination aus Gitterrohr und Alugussteilen hat sich als so stabil erwiesen, dass sie sicherlich selbst Geschwindigkeiten jenseits der 312 km/h problemlos verkraften dürfte. Die extrem schnelle Parabolica durcheilt die MV ohne Zicken, die flott zu fahrende Ascari-Schikane ebenfalls. In den langsamen Abschnitten merkt man ihr zwar ihr trockenes Mehrgewicht im Vergleich zu einer Yamaha R1 (plus 15 kg) oder einer Ducati 1098 (plus 19 kg) durchaus an, dennoch weiß sie im Handling zu überzeugen.

Bremsen überzeugen

Einfach schön - die MV Agusta F 4 R 312 Foto: Werk

Gleiches gilt für die Bremsen, die von Brembo kommen. Die - selbstverständlich - radial angeschlagenen Vierkolben-Festsattelzangen mit vier Einzelbelägen verbeißen sich mit Macht in die Doppelscheibe, da kann der Fahrer den Bremspunkt ruhig auf der letzten Rille setzen, zumal die serienmäßigen Supercorsa Pro von Pirelli an Haftung und Kraftübertragung nichts zu wünschen übrig lassen.

Ebenfalls vom Feinsten ist die Arbeitsweise der 50er Marzocchi USD-Gabel und des Sachs-Federbeins hinten. Beide sprechen sehr sensibel auf Bodenunebenheiten an und halten konsequent den Kontakt zum Asphalt ein, während ein nobler Lenkungsdämpfer von Öhlins die Frontpartie während heftiger Beschleunigungsorgien beruhigt.

Die MV Agusta F 4 R 312 ist gemacht für die Rennstrecke Foto: Werk

Natürlich sind 21.000 Euro für ein Motorrad ein außergewöhnlicher Preis, selbst wenn es das derzeit schnellste der Welt ist. Aber Geiz ist nun mal doch nicht geil, Exklusivität hat einfach ihren Preis, ebenso die hochwertige Verarbeitung und die vielen liebevollen Detaillösungen, die die MV-Mannen stets gemäß des Arbeitsmottos von Chefdesigner und Ideengeber Massimo Tamburini angehen: «Kein Detail ist einfach nur ein Detail.» Da ist er genau wie sein Boss nicht zu Kompromissen bereit.

Gewiss ist die MV Agusta F4 R 312 kein Sonderangebot, und 312 km/h Höchstgeschwindigkeit braucht in Wirklichkeit kein Mensch - das ist klar. Aber ihre Exklusivität und das hinreißende, zeitlose Design können auch weniger emotional gesteuerte Menschen begeistern.

Keine Beiträge vorhanden