Moto Guzzi Bellagio: Spaß ohne Hightech

Moto Guzzi hält die Tradition mit dem luftgekühlten Motor auch bei seinem neuen Allroundbike hoch. Dabei vermittelt die Bellagio auf Anhieb eine unkomplizierte und aktive Fahrfreude.

Von Thilo Kozik

Was treiben manche Autohersteller nur für einen Aufwand, um für ihre Karossen die richtige Bezeichnung zu finden - überall suchen Namen-Scouts nach Kunstbegriffen, die weltumspannend ähnliche Assoziationen wecken. Solche Probleme sind dem italienischen Motorradhersteller Moto Guzzi völlig fremd. Hier schaut man sich einfach in der Umgebung um und findet dort die passenden Namen für neue Modelle. Wie bei der Bellagio, was nicht nur beim Aussprechen nach Sonne und azurblauem Wasser, kurz: einfach nach Italien klingt. Bellagio heißt auch der mondäne Badeort am Zipfel der Halbinsel im Comer See. Wo folgerichtig auch die Präsentation des neuen Modells stattfand.

Tradition wird nicht gebrochen

Dabei sei nicht nur der Name neu, versichern die Ingenieure. Vor allem der neu Motor ist ihr ganzer Stolz. Zugegeben, einen 940er Hubraum mit dem Hub-Bohrungsverhältnis von 95 zu 66 mm haben die Italiener tatsächlich noch nicht verbaut. Doch weil die Gehäuse aller Guzzi-Motoren im Prinzip gleich sind, darf man genau so berechtigt von einem aufgebohrten 850er Vau aus Breva und Griso sprechen. Denn die Konstruktionsmerkmale der Aggregate sämtlicher Modelle stehen so unverrückbar fest wie die altehrwürdigen Gemäuer in Mandello del Lario, wo Guzzis seit der Firmengründung 1921 ihr Leben eingehaucht bekommen - luft-ölgekühlter 90-Grad-Vau, längs eingebaut, mit zwei Ventilen, die über Stößel und Stoßstangen von einer unten liegenden Nockenwelle angetrieben werden. Antiquierte Motorentechnik, mögen die einen sagen, grundehrliche, echte und unverfälschte Mechanik die anderen. Fest steht: diese Art der luftgekühlten Motorentradition findet sich nur noch bei zwei Herstellern, nämlich Moto Guzzi und dem US-Kultkonzern Harley-Davidson. Sämtliche anderen Hersteller vertrauen da moderneren Konzepten - trotz scheinbar klassischer Boxer- oder Paralleltwin-Konfigurationen.

Verbesserte Manieren

Angesichts immer restriktiverer Geräusch- und Abgasvorgaben mag sich die Ära der großen Luftgekühlten langsam dem Ende zuneigen, doch die Bellagio zeigt, dass Motorradfahren auch ohne Hightech einen Riesenspaß machen kann. Mit Doppelzündung, Weber-Marelli-Einspritzanlage und einem neuen Edelstahl-Dämpferpaar auf der linken Seite bringt es der mächtige Vau auf respektable 75 PS und 78 Newtonmeter Drehmoment. Und das bei verbesserten Manieren. Nach dem Anlassen spürt man förmlich, dass dieser große Vau lebt - er schüttelt sich, brabbelt wohltuend aus den Schalldämpfern und massiert den Körper mit wohltuenden Vibrationen. Aber beim Gasgeben im Stand kippt die Fuhre lange nicht so stark zur linken Seite wie die übrigen Guzzis. Und auch die Lastwechselreaktionen, ein lästiges Phänomen des Kardanantriebs, sind kaum noch spürbar.

Etwas viel Handkraft verlangt die Kupplung zum Einlegen des ersten von sechs Gängen, doch dann geht der Motor geschmeidig zur Sache. Flott marschiert die Bellagio voran und drückt subjektiv sehr gleichmäßig und ohne jede Hinterlist nach vorne. Der Vortrieb fällt nett, aber nicht umwerfend aus; doch wer braucht das auf verwinkelten Landstraße schon? Analog unspektakulär arbeiten die separat und nicht wie bei vielen Guzzis integriert agierenden Brembo-Stopper. Leider ohne ABS, das relativ leicht anzupassen wäre - angeblich verlangen nur die pingeligen Deutschen danach.

Klassisches Allroundbike

Dieser relaxte Charakter passt zu diesem Motorradkonzept. Die Bellagio ist nämlich ein Allroundbike im klassischen Sinne, das macht sie schon beim Platznehmen deutlich. Trotz der martialisch gedrungenen Aufmachung mit dickem Tropfentank und gerader Bullbar-Lenkstange heißt es beim Aufsitzen: «hm, passt ja, geht ja.» Den Oberkörper leicht aktiv vorgebeugt, aber stets entspannt, und die Füße können sich auf den leicht vorgelagerten Rasten gut abstützen - nur besonders Langbeinige könnten sich die Schienbeine an den hervorragenden Zylinderköpfe stoßen. So integrierend macht die Bellagio auch auf den kniffligen Abschnitten rund um die hügelige Halbinsel einen gut kontrollierbaren Eindruck, der von der ausgeprägten Handlichkeit nachhaltig unterstützt wird. Ungeachtet 224 Trocken-Kilos - den Hüftspeck verdankt sie dem soliden Rahmenbau und dem dicken Motor - geht die Guzzi flott ums Eck, lässt sich ohne Aufwand in die Kurven lenken und bleibt stur auf der vorgegebenen Linie. Schnelle Wechselkurven und enge Kehren werden mit Vergnügen goutiert, die Bellagio vermittelt auf Anhieb eine unkomplizierte und aktive Fahrfreude, wie sie die Harleys kaum bieten können.

Sanftmütiger Fahrkomfort

Auf dem üblen Flickenteppich der krakeligen Testrunde kann zudem der sanftmütige Fahrkomfort voll überzeugen - die Federelemente sprechen gut an und verdauen selbst üblere Schäden, die der strengere Winter hinterlassen hat. Für schnellere Gangarten lässt sich die Marzocchi-Gabel in Zug- wie in Druckstufendämpfung anpassen; das Federbein verfügt über eine praktische Federbasisverstellung per Handrad. Selbst auf den schattigen, noch feuchten Passagen kommt nie Unsicherheit auf; der Dank dafür geht an die guten Metzeler Roadtec Z6-Pneus. Allerdings sorgt der breite 180er Schlappen in Kombination mit dem ungewöhnlich großen 18-Zoll-Rad vorn dafür, dass die Guzzi in Schräglage immer etwas weiter abklappt als gewollt. Doch ist das eigentlich so dramatisch nicht.

Akzeptabler Preis

Zur unproblematischen Agilität gesellen sich eine gute Ausstattung mit informativem Kombiinstrument und einstellbaren Hebeleien sowie ein akzeptabler Preis von 10.670 Euro - zumindest für ein solch charakterstarkes Modell. Da dürften sich nicht nur eingefleischte Guzzi-Fans dieses Modell einmal genauer anschauen.

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