Die Rückkehr der Easy Rider

Harley-Davidson: FXCW Softail Rocker

Die Rückkehr der Easy Rider
Die Harley Davidson FXCW Softail Rocker © Foto: Harley

Harley-Davidson FXCW Softail Rocker ist der radikalste Chopper, der je aus den heiligen Hallen in Milwaukee rollte. Wer auf diesem Bike unterwegs ist, fühlt sich unweigerlich an den Filmklassiker Easy Rider erinnert.

Von Thilo Kozik

Das bunteste Kaleidoskop vom wahren Leben in Amerika bekommt man beim Cruisen mit einer Harley-Davidson über die Straßen ihrer Heimat. Auf keine andere Art sind die visuellen Eindrücke tiefer, der Sound intensiver. Das gilt besonders für die neue FXCW Softail Rocker, in deren Sattel automatisch unzählige bekannte Liedtexte aus den Tiefen des Kleinhirns auftauchen: «Counting the cars on the New Jersey Turnpike… They’ve all gone to look for America…»

Erinnerungen an Easy Rider

Doch während Simon and Garfunkels Zeilen unkontrolliert durchs Hirn wabern, drängt sich ein anderes, für Motorradfahrer viel bedeutsameres Szenario in den Vordergrund - und auch das hat mit den neuen Harleys verdammt viel zu tun: Unvermutet taucht vor dem geistigen Auge eine der Anfangssequenzen aus dem legendären Film «Easy Rider» auf, als Captain America mit seinem Kumpel Billy das Geld aus einem kleinen Drogendeal im Tank ihrer Chopper verstecken und sich auf den ebenso weiten wie folgenreichen Weg nach New Orleans machen.

Fast vier Jahrzehnte nach der Easy Rider-Hommage an mächtig umgebaute Motorräder, also Custombikes, sind diese Art Chopper das ganz große Ding in den Staaten. Und Harley-Davidson möchte diesen Markt nun mit der Rocker gerne aufmischen, mit weit nach vorn gereckter Gabel, dem typischen luftgekühlten Vau-Zwo-Aggregat und einem minimalistischen Heck - ganz klar der radikalste Chopper, der je aus den heiligen Hallen in Milwaukee rollte.

Bedeutende Weiterentwicklung

Der 240er Reifen an der Die Harley Davidson FXCW Softail Rocker Foto: Harley

Für Harley stellt die Rocker die bedeutendste Weiterentwicklung der Softail-Baureihe seit ihrer Einführung 1984 dar. Ganz klar: Ein Serienmodell mit der exotischen Attitüde jener Einzelstücke, wie sie in den einschlägigen TV-Serien American Chopper oder Biker Build-Out zusammen gebastelt werden. Über dem mächtigen, fein verrippten V-Twin fläzt sich ein Tropfentank wie hingegossen, dahinter oder besser darunter schließt sich ein extrem tiefer Solositz an, und vorn dominiert eine chromblitzende Gabel mit V-förmigem Lenker auf hochgebogenen Risern.

Die lange Gabel und ein Lenkkopfwinkel von extremen 36,5 Grad lassen das filigrane Fünfspeichen-Gussrad unglaublich weit weg vom Fahrer erscheinen. Im Gegensatz dazu rotiert hinten ein fetter 240er Dunlop-Gummi, dessen dominanter Auftritt durch den knapp sitzenden Schmutzfänger noch betont wird. Das neue Harley-Heck mit Namen «Rockertail» stellt eine Variante der bisherigen Softails dar: Nach wie vor in Starrrahmen-Optik, kümmern sich zwei liegende Federbeine unter dem Motor um die hintere Radführung. Die Rocker entspricht in allem dem Chopper-Reinheitsgebot vom long, low and lean mit einem gigantischen 1760 mm-Radstand und tief fliegender Sitzhöhe von nur 622 mm, dem erdverbundensten Polster der gesamten Harley-Flotte.

Wahrer Hingucker

Die Harley Davidson FXCW Softail Rocker Foto: Harley

Während die Standard-Rocker mit gleichfarbigen Rahmen, Tank und Schmutzfängern in Schwarz, Blau oder Dunkelrot samt zahlreichen kontrastierenden Bauteilen in seidenmattem oder chromigem Finish einen durchaus edlen Eindruck macht, ist das Schwestermodell Rocker C der eigentliche Hingucker. Statt Seidenmatt-Understatement gibt’s nur blitzenden Chrom plus lackierter Schwinge und farbigem Öltank.

Heißer Flammen-Look auf dem Tank und dem vorderen Schmutzfänger ergänzen den brachialen Auftritt, der von einem vermeintlich in der Luft hängenden Einzelsitz - mit 644 mm unwesentlich höher als beim Standardmodell - perfektioniert wird. Doch ist das nur ein geschickter Fake, von Harley “Trick Seat” genannt: Unter dem hochgeklappten Sitz befindet sich eine Halterung, die sich ohne Werkzeug ausfahren lässt. Darauf wird das ebenfalls im Fahrersitz verborgene Soziuspolster aufgeschoben, befestigt - fertig. Die übrige Zeit verschwindet der Zweitsitz unsichtbar unterm Sitz. Genau das ‘Richtige für wackelige Zweierbeziehungen.

Aufgesessen wirkt der Hintern übrigens viel weniger bodennah als die technischen Daten vorgeben. Der Blick über den kleinen Scheinwerfer im Bullet-Design und den Tacho auf dem Tank wird vom Lenker und der Gabel richtiggehend geführt, die Fußrasten liegen wie es sich gehört weit vorne.

Mächtiger Vau-Zwo

Der mächtige V2-Motor an der Harley Davidson FXCW Softail Rocker Foto: Harley

Doch nach dem Anlassen des mächtigen Vau-Zwo-Gebirges, Einlegen des ersten Ganges bei leichtgängiger Kupplung benimmt sich die Rocker für ein solch radikal anmutendes Motorrad vergleichsweise normal. Als Antriebsquelle nutzt die Rocker den im letzten Jahr eingeführten Twin Cam 96B-Motor, traditionell ausgelegt mit 45-Grad-Zylinderwinkel, Luftkühlung und Stoßstangensteuerung , aber mit 1584 Kubikzentimetern den größten Harley-Hubraum repräsentiert. Dazu gibt’s ein modernes Sechsganggetriebe und zwei Ausgleichswellen, damit der Pfundskerl starr mit dem Rahmen verschraubt werden kann.

All das mündet in gehaltvollem V-Twin-Charakter mit prima Druck im unteren Drehzahlbereich samt sanftem, aber nachdrücklichem «Potato-Potato» aus dem rechtsseitigen Doppel-Schalldämpfer und einem fairen Gegenwert Speed bei voll durchgezogenem Gashahn. Für ein 300-Kilo-Bike geht das Gebotene voll in Ordnung, im sechsten, als Overdrive ausgelegten Gang des geschmeidigen Getriebes rollt die Rocker mühelos bei 125 km/h dahin.

Dabei fühlt man sich erstaunlicherweise durchaus wohl. Das liegt am sanft laufenden Motor ebenso wie an der ordentlichen Arbeit der vorgereckten 49er mm Showa-Gabel, nur die 86 mm Weg der Hinterradfederung scheinen etwas knapp bemessen für einen komfortablen Ritt. Immerhin bleibt einiges der Asphaltunbill in der guten Polsterung des Sattels hängen. Zu viel Fahrkomfort würde ja auch nur dem Image schaden.

Gutes Handling

Die Harley Davidson FXCW Softail Rocker Foto: Harley

Überraschenderweise fiel das Handling gar nicht so schwer wie man es von einem Motorrad erwartet hätte, dessen Vorderrad bereits New Jersey erreicht hat während der Rest noch in New York rumfährt. Doch klar, bei niedrigem Tempo verlangt die Rocker nach einer harten Hand am Lenker. Doch der niedrige Schwerpunkt und gute Lenkeinschlag machen sie agiler als gedacht, notfalls sorgt die niedrige Sitzhöhe für willkommene Unterstützung durch paddelnde Beine. Trotz der zunächst überkandidelt erscheinenden Vierkolben-Festsattelzangen hält sich die Bremsperformance in bescheidenen Grenzen. Nach wie vor gilt: Feste ziehen bringt feste Wirkung.

Doch zu ihrer Entschuldigung sei daran erinnert: Eine Harley Softail ist ein Chopper, und die Rocker stellt die Customvariante davon dar. Mit voll ausreichender Dynamik, mehr als artgerechtem Styling und einer höchst ansehnlichen Verarbeitungsqualität, die sich die Herren aus Milwaukee entsprechend honorieren lassen: Ab November stehen die Softail Rocker für 18.990 Euro, die C und für 21.350 Euro beim Harley-Dealer. Das sind beileibe keine Sonderangebote. Doch in 644 Millimeter Höhe über dem Boden schwebend ergeben sich eben vollkommen neue Blickwinkel auf Amerika, die Zweiradwelt und das Leben an sich.

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