Ducati Desmosedici 16 RR: Rote Träume

Ducati Desmosedici 16 RR: Rote Träume
Ducati Desmosedici 16 RR © Foto: Ducati

Wer eínmal auf diesem Motorrad unterwegs war, kommt aus dem Schwärmen nicht heraus. Die Ducati Desmosedici 16 RR sorgt selbst bei abgeklärten Testfahrern für Glücksgefühle.

Von Thilo Kozik

Diesmal schaffe ich es bestimmt, diesmal will ich es wirklich! Jedes Mal, wenn ich mit der Ducati Desmosedici 16 RR die lange Start-Zielgerade entlangdonnere, sage ich mir: Lass das Gas noch länger stehen, bevor am Ende die Rechtskurve bergauf angebremst wird.

Auf einem Motorrad mit solch mächtigen Ankern wie der Ducati sollte das doch möglich sein - doch jedes Mal verlässt mich kurz vorher irgendwie der Mut. Immer wieder bremse ich zu früh und hätte viel schneller in die lange Erste-Gang-Haarnadel einbiegen können.

Vielleicht ist das der einzige Makel, den die majestätische Desmosedici einem Normal-Motorradfahrer anhängt: Das unvermeidliche Gefühl, dass man dieses nahezu auf GP-Level angesiedelte Motorrad mit den eigenen Fahrkünsten nie an irgendwelche Grenzen treiben kann. Im Umkehrschluss hängt einem immer der Gedanke im Unterbewusstsein, es nicht zu sehr zu übertreiben, wenn man einmal im Leben dieses gut 60.000 Euro teure Kleinod fünf kostbare Runden über einen nicht bekannten Kurs bewegen darf.

Noch mächtig Druck bei Tempo 300

Insbesondere, wenn man bedenkt, dass dieses Geschoss schon über 300 km/h auf dem Tacho anzeigt und immer noch mächtig vorwärts drückt, als ich in die Eisen steige - da wird die Lüft selbst für kleinste Fahrfehler dünn, sehr dünn. Natürlich muss man die Desmosedici RR nicht immer blindlings mit Vollgas um den Kurs treiben, doch der unterschwellige Druck ist immer da. Vor allem hier in Mugello: Der wunderschön in die toskanischen Hügel gebettete Kurs ist die eigentliche Heimat des 16er Desmos.

Nicht nur, weil er einen Katzensprung von Bologna, Ducatis Heimstatt, entfernt ist. Sondern auch, weil das brutal kräftige V4-Rennmotorrad auf der langen Geraden seine ganze Kraft und Herrlichkeit ausspielen kann. Wer erinnert sich nicht an das Ducati-Debüt in der 2003er MotoGP-Saison, als Loris Capirossis Desmosedici die Hondas von Valentino Rossi und Max Biaggi hier mit einem neuen Allzeit-Rekord von 332,5 km/h vollstreckte!

Mehr als 1000 Bestellungen

Das Hinterrad an der Ducati Desmosedici 16 RR Foto: Ducati

Während ihrer vierjährigen Rennzeit gewann die 990er Desmosedici sieben Läufe, doch die in diesem Jahr gezeigte Dominanz des 800er Motors erreichte der «große» Bruder nie - obwohl er immer der schnellste auf den Geraden war. Im letzten Jahr dann wurde das annähernd serienreife Motorrad hier in Mugello der Öffentlichkeit präsentiert. Seitdem gingen mehr als 1000 Bestellungen in der Zentrale in Bologna ein, trotz des immensen Preises von drei 1098ern.

Doch hier in der Box in Mugello spürt man die Gründe für den Hype um dieses Motorrad: Dieses Bike gehört einfach hier hin. Die paar Straßennotwendigkeiten wie schmale Scheinwerfer und Spiegel, die die Blinker tragen, stören die rennfertige Ausstrahlung kaum, das rot-weiße Kunststoffkleid, voll einstellbares Öhlins-Gold und rennmäßige Instrumenten untermauert den Auftritt. Apropos Öhlins FG353P-Gabel: versehen mit einem Ausgleichsbehälter für noch stärkere Dämpfungscharakteristiken und bessere Performance. Die über den Hauptbremszylinder verlaufende Leitung ist eine Fernbedienung, die während der Fahrt bedient werden kann.

Heck aus Carbon

Das Cockpit der Ducati Desmosedici 16 RR Foto: Ducati

Das stammt genau so aus dem MotoGP wie das selbsttragende Heck aus Carbon, abgesehen vom schwarzen Keramik-Oberteil, das der enormen Hitze des hochgelegten Einzelschalldämpfers widerstehen muss. Völlig authentisch aber nicht unbedingt High-Tech ist das dünne Stück Moosgummi, das für Fahrer gedacht ist, die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht lange darauf sitzen müssen - und können. Die Form der Carbon-Verkleidung ist Desmosedici-Racer pur, ebenso wie das Motorenlayout dahinter: Ein 90-Grad, dohc V4 mit dem identischen Hub-Bohrungsverhältnis von 86 zu 42,6 mm wie beim Renner. Mit Kat und Euro-3-konformem Schalldämpfer gut für 188 PS bei 13800/min.

Die Testmotorräder sind aber mit dem nicht zugelassenen Zubehör-Schalldämpfer und der geänderten Steuerelektronik ausgerüstet - beides ist im Kaufpreis mit inbegriffen - und liefern rund 200 PS bei gleicher Nenndrehzahl. Die Leistungsabgabe entspricht in den unteren Gängen im Wesentlichen dem Desmosedici-Racer, mit einem wesentlichen Unterschied, wenn die Mechaniker die Heizdecken lüften: Anstatt des externen Hilfsmotors drücke ich einfach auf den Starterknopf am rechten Lenkerende, und schon erwacht der mächtige V4 mit brachialem Sound zum Leben.

Leichtgängiger Gasgriff

Ein Meisterwerk - die Ducati Desmosedici 16 RR Foto: Ducati

Ein wenig leiser als bei den MotoGP-Rennen, aber das mag vielleicht an der neuen Perspektive auf und nicht neben dem Motorrad liegen. Auf dem recht niedrigen Sitz fühlt man sich in etwa so wie auf einem Ducati Hypersportler. Der Drehzahl-Balken flitzt quer übers Bild, als ich den erfreulich leichtgängigen Gasgriff aufziehe. Nach Ziehen der leicht zu betätigenden Kupplung und leichtem Klonk beim Einlegen des ersten Ganges - das Sechsgang-Kassettengetriebe ist nach üblichem Straßen-Schema schaltbar - beschleunige ich auf die Mugello-Pitlane.

Sanft, aber deutlich nachdrücklicher als ein «normales» Sportmotorrad geht die Desmosedici bei niedrigen Drehzahlen ans Werk, sie gibt sich einfach rennmäßiger. Es hatte schon was von einem surrealen Film, als ich von der Boxengasse auf die leere Mugello-Strecke biege und mich einsam auf dem Asphalt vorwärts bewege. Was für ein Genuss, dieses Motorrad so direkt und völlig kontrollierbar mit einem Schwenk zum ersten Mal in die erste Kurve einbiegen zu lassen. Mit 171 Trocken-Kilos ist die RR zwar leicht, aber doch nicht so dramatisch weit weg von einer 1098 beispielsweise.

Einfach unwiderstehlich

Doch ihr wunderbar präzises Lenkverhalten, mit dem sie die Kurven schneidet wie mit einem Skalpell, ist schon außergewöhnlich. Noch atemberaubender fällt die Reaktion beim Öffnen des Gashahns aus, so unglaublich spontan und unwiderstehlich! Mit dem Wissen um 200 PS im Rücken hatte ich die Desmosedici schon als verdammt schnell erwartet, doch das Gefühl, als ich bergauf zur Links-Rechts-Schikane Luco stürme, kraftvoll untermalt von diesem harten, kaum eingeschränkten Vau-Four-Roar, das verursacht schon eine richtige Gänsehaut.

Über dem Drehzahlmesser prangt ein Trio Schaltblitze, das beim Erreichen des Limits von 14.200 U/min. Rot zu leuchten beginnt. Doch die Ducati rast so schnell durch das extrem knackig und kurz abgestimmte Sechsganggetriebe, dass ich keinen Blick darauf verschwenden kann - ich brauche die volle Konzentration fürs Fahren! So lande ich ein paar Mal im Limiter, also muss ich meine Schaltpunkte eben anhand des Sounds setzen und den linken Schaltfuß einfach flink und fleißig einsetzen.

Für ein solch hochgezüchtetes Motorrad verfügt die Desmosedici über ein erstaunliches Maß an Drehmoment unten herum. Zusammen mit der exakten Gas-Umsetzung durch das Magneti Marelli-Einspritzsystem fällt es kaum auf, dass ich in den ersten Runden manche Ecke einen Gang zu hoch nehme. Doch merke ich hierbei, dass dieses Motorrad im normalen Straßenverkehr den nötigen Druck in der Mitte hat, den man zum flüssigen Überholen benötigt. Die Ducati fühlt sich an jeder Stelle in Mugello nervenzerreissend schnell an, doch die lange Start-Zielgerade setzt dem Ganzen natürlich die Krone auf. Ein fantastisches Gefühl, wenn man sich hinter der Scheibe klein macht, im Getriebe voll hochschaltet und spürt, wie sich der V4 mit Macht streckt und ein Tempo von 302 km/h erreicht, wie der eingebaute Ducati Data Analyser später ausspuckt.

Grandioses Handling

Ducati Desmosedici 16 RR Foto: Ducati

Das ist zwar noch deutlich langsamer als Capirossis 334 km/h auf der Desmosedici GP6 während des letzten Mugello GP, doch ich finde, das ist schon recht zügig. Das Abbremsen aus Warp-Geschwindigkeit hinunter in den ersten Gang für die San-Donato-Rechts ist eine echte Herausforderung für die Bremsen - und den Fahrer. Die RR-Brembo-Monobloc-Stopper im 1098-Stil erledigten den Job mit Kraft, Findesse und absolut fadingfrei. Genauso beeindruckend wie das leichte Umlegen der RR in die Ecke - dieses Motorrad funktioniert um so besser, je schneller es gefahren wird.

Das liegt an der Rahmensteifheit, wofür das Gitterrohrgeäst mit vier verschiedenen Rohrdurchmessern versehen ist und die Steifheit des deutlich schwereren Rahmens der 1098 um das Doppelte übertrifft. Und an den Qualitäts-Federelementen, deren Set-up auf dem fußt, «was zur Zeit im MotoGP gefahren wird». Zum unvergleichlichen Fahrgefühl trägt neben dem leichtfüßigen Handling vor allem die wunderbare Neutralität ihren Großteil bei, wohl auch wegen der recht konventionellen Fahrwerksgeometrie mit 23,5 Grad Lenkkopfwinkel in der steileren der beiden möglichen Stellungen und 98 mm Nachlauf bei einem Radstand von 1430 mm, der dem der 1098 entspricht.

Tolles Feedback

Die Ducati verlangt doch tatsächlich einen leichten Zug am Lenker, um durch die vier Mugello-Schikanen zu huschen. Doch ihr direktes Fahrgefühl und das tolle Feedback plus sattem Grip der klebrigen Bridgestone BT-01-Pneus machen sie hier gefühlsmäßig schneller als jedes andere Straßenmotorrad. Im Umkehrschluss wirkt die Desmosedici nicht so fehlerverzeihend wie ein Supersportler von der Stange. Schon bei dem kleinsten Fahrfehlerchen kommt man von der Ideallinie ab; die Korrektur erfolgt genau so flott, doch wehe, wenn sich die Fehler summieren.

Ganz klar: Sie weckt den Rennfahrer in dir, diese schnellste, radikalste und forderndste Rennreplika, die es gibt - sie will adäquat bewegt werden. Der Lohn, wenn man das schafft, ist eine einmalige und lang haften bleibende Erfahrung. Speed, Sound und Gefühl der RR sind so nah dran an den Ducati-Werksrennern, da kann kein Serienmotorrad mithalten - auch nicht bei der Gefühlswallung, die dieses Motorrad auslöst. Und wahrscheinlich auch nicht beim objektiven Blick auf die Stoppuhr. Ducati ist angetreten, seine MotoGP-Rakete auf die Straße zu bringen, und genau das haben sie mit der Desmosedici RR erreicht.

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