Ducati 1098 S: Italienische Zahlenspielereien

Als einziger Motorrad-Hersteller der Welt leistet sich Ducati eine Extravaganz bei den Modell-Namen – die schreiben einfach den genauen Hubraum drauf. Das ist auch bei der flammroten 1098 gute Tradition.

Von Thilo Kozik

Bestimmte Zahlenkombinationen lösen bei Motorradfahrern quasi Pawlowsche Reflexe aus. 9-16 war die erste Ziffernfolge, die auch heute noch eine wohlige Gänsehaut über den Motorradfahrer-Rücken zieht. Bei der viel eingängigeren Zahlenreihe 9-9-9 wiegen dagegen die gleichen Menschen das erfahrene Haupt und rümpfen die Nase. Jetzt ist mit 10-98 eine neue Nummer aufgetaucht, die auf dem besten Wege ist, die gleichen Emotionen wie die 9-16 hervor zu rufen.

Fehlgriff 999

Alle drei Ziffernkombinationen markieren eine jeweilige Generation supersportlicher Flaggschiffe der italienischen Edelmarke Ducati der letzten zwölf Jahre, das hat wohl jeder gemerkt. Schließlich traut sich kein Hersteller der Welt, seine Modelle ohne den Buchstabenzusatz von CBR, GSX oder YZF zu definieren - außer eben Ducati: 1993 gelang dem legendären Massimo Tamburini der Geniestreich namens 916, ein Motorrad, das italienische Eleganz mit purer Sportlichkeit verknüpfte wie kein Zweites vor ihr. Unzählige Design-Preise und zahlreiche Siege auf den Rennstrecken der Welt waren der Lohn. Und zugleich ein übermächtiges Erbe, das jedes Nachfolgemodell überstrahlen musste.

Die Ducati ist für die Rennstrecke gemacht Foto: Werk

Nach zweimaliger Hubraumaufstockung auf 996 und 998 Kubik ohne Design-Änderung musste 2002 endlich ein Modell her, das vollkommen anders aussah: Die 999, gezeichnet von Pierre Terblanche. Doch im Willen, unbedingt mit der Vergangenheit zu brechen, schoss Ducati weit übers Ziel hinaus. Technische Schwierigkeiten mit der neuen Can-Bus-Technologie und die fehlende Akzeptanz der eingefleischten Ducatisti machten die 999 fast zum Flop - trotz zweier Superbike-WM-Titel in Folge für Fahrer und Werk. Sportliche Meriten hin, exklusiver Anspruch her - beim Kauf entscheidet das Auge eben mit, und da fand die 999 keine Gnade.

Festtag in Rot

Die unter Produktdirektor Claudio Domenicali, dem früheren Chef der Rennabteilung Ducati Corse, entwickelte 1098 korrigiert die individuelle Ausrichtung der 999 und stellt im Prinzip eine logische Weiterentwicklung der 916 dar. Die Rückkehr zur mächtigen Einarmschwinge, den typischen Doppelschalldämpfern unterm Heck und einer aggressiven Front mit zwei Augenschlitzen statt eines Zyklopenauges ließ nicht nur die italienische Presse kollektiv aufatmen. Die Enthüllung der 1098 auf der Mailänder Messe geriet zu einem Festtag in Rot, die Zuschauermassen pilgerten wie ausgehungert zum Ducati-Stand, labten sich an der 1098 und kürten sie prompt zum schönsten Bike der Messe.

Übertriebener Nationalstolz? Von wegen, die englischen Kollegen erhoben sie sogar in den Adelsstand des «sexiest bike alive». Tatsächlich kann man sich nur schwer der sinnlichen Formgebung und dem ausgeklügelten Farbenspiel in Rosso und Nero entziehen; die fließenden sportlichen Linien, die knackige Wespentaille und das kecke Heck wecken fast schon wollüstige Emotionen.

Leistungsstärkster Ducati-Zweizylinder

Schwungvoll und dynamisch Foto: Werk

Vor den überzeugenden ästhetischen Vorzügen verblasst die technische Evolution ein wenig, obwohl hier die Erfahrungen aus der Superbike-WM und vom GP-Einsatz eingeflossen sind. So wuchs der traditionelle 90-Grad-«L»-Motor durch mehr Hub auf 1098 ccm, elliptische Drosselklappen optimieren die Gasströme ebenso wie der komplett überarbeitete Desmodromik-Vierventilkopf. Das bedeutet gut 20 PS mehr als bei der 999 und ein Drehmoment von 125 Newtonmetern - verdammt ordentliche Werte, die die 1098 S zum leistungsstärksten Ducati-Zweizylinder aller Zeiten macht.

Doch das allein wäre nur die Hälfte der Errungenschaften; schiere Kraft ohne das Tool zu ihrer Beherrschung wären ein echter Rückschritt. So begeistert die 1098 mit unglaublich sanftem Ansprechen auf jeden Zucker am Gasgriff, und die spürbar stärkere Drehzahlmitte gegenüber der Vorgängerin erübrigt hektische Gangwechsel. Das erleichtert die Gewöhnung an kniffelige Strecken ungemein.

Genialer Bremsvorgang

Gleiches gilt für die gelungene Diät aller Bauteile, mit der sich immense 15 Kilo einsparen ließen. Die 1098 setzt dies gekonnt in Fahrdynamik um, erstaunlich flink huscht sie durch die Wechselkurven ohne die sprichwörtliche Ducati-Stabilität vermissen zu lassen. Einmal in Schräglage, braucht es einen Bulldozer, um die Duc aus der Linie zu schieben. Genial: Der Bremsvorgang. Neu entwickelte, einteilig gegossene Bremsen und leichtere Räder vom Zulieferer Brembo bescheren der 1098 ein unglaubliches Stopp-Potenzial, das ohne hinterlistige Bissigkeit aber mit glasklarer Dosierung selbst weniger versierten Fahrern zu kürzesten Bremswegen verhilft.

Gegenüber der Standard-1098 sind es vor allem edle Fahrwerkskomponenten, die den Preis von 21.550 gegenüber 17.450 Euro der Normalo rechtfertigen - allein die goldene Öhlins-Gabel ist eine Augenweide und zeichnet sich durch ein äußerst feinfühliges Ansprechverhalten aus. Ähnlich gut funktioniert das Federbein vom gleichen Hersteller, beide selbstverständlich komplett einstellbar. Wer an den Stellmechanismen dreht, wird erstaunt sein, wie exakt sich beide auf unterschiedliche Anforderungen abstimmen lassen. Das hochwertige Öhlins-Paket komplettiert ein einstellbarer Lenkungsdämpfer, der die Front über Kuppen wirkungsvoll beruhigt.

Analyse-System für Renndaten

Elegantes Bike Foto: Werk

Dazu setzt «Schwester S» konsequent auf Leichtbauweise mit maschinenbearbeiteten und geschmiedeten Marchesini-Felgen, die einen Gewichtsvorteil von 1,9 kg gegenüber herkömmlichen Felgen einbringen. Die Vorteile der verringerten ungefederten Massen sind tatsächlich auf Anhieb spürbar, indem die Duc erstaunlich willig einbiegt und schnellen Schräglagenwechsel wenig Widerstand entgegen bringt. Einen weiteren Beitrag zur Gewichtseinsparung leistet das vordere Schutzblech aus Carbon, doch dient dies eher optischen Zwecken.

Zudem verfügt die 1098 S serienmäßig über das Ducati Data Analyse System, mit dem sich Daten auslesen und analysieren lassen, die während Straßen- oder Rennstreckenfahrten gesammelt wurden. Amateur-Racer dürften sich über das Paket inklusive CD mit Software für den PC und USB-Stick zum Auslesen der Daten freuen - endlich lassen sich Sekunden finden, die für immer verloren schienen.

Fast unveränderte Preise

Ducati 1098 S Foto: Werk

Keine Frage, dieses Motorrad verströmt aus allen Poren Rennstreckenduft, Alltagsqualitäten darf man nicht erwarten. Gerade vor diesem Hintergrund überrascht die kommode Sitzposition - sie fällt fast bequem aus, verglichen mit dem Marterpfahl-Ambiente der 999.

Andere Motorräder mögen noch beeindruckendere technische Daten liefern, doch die 1098 besitzt ein gewaltiges Potenzial - nicht nur auf der Rennstrecke, wie hier bewiesen, sondern auch abseits: Schon das Betrachten dieses aufregenden Supersportlers löst jenen unwillkürlichen Habenwollen-Reflex aus, der rationale Überlegungen wie beispielsweise die Preisfrage einfach in den Hintergrund drängt. Und überhaupt: Trotz aller technischen und optischen Zugewinne bleibt der Preis zur Vorgängerin nahezu unverändert.

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