Ducati XDiavel: Call me a Cruiser

Italiener auf Wachstumskurs

Ducati XDiavel: Call me a Cruiser
Die neue Ducati XDiavel, mit ihr kann man auch cruisen. © Ducati

Was denn nun? Ein Cruiser oder doch keiner. Glaubt man Ducati, dann ist die Diavel keiner, die neue XDiavel aber doch. Schauen wir mal, was zutrifft. Dafür sind wir das neue Modell der Italiener Probe gefahren.

„Don't call me a cruiser“ (nennt mich ja nicht Cruiser) – so lautete die zentrale Aussage, als Ducati Ende 2010 sein anfangs absonderlich wirkendes Modell Diavel präsentierte. Die Ducati Diavel, lang, niedrig, extrovertiert gestaltet und mit 162 PS ultrastark, verwirrte die Betrachter erst und zog die finanziell potenteren unter ihnen dann in ihrem Bann: 13.000 Stück des 20.000 Euro-Bikes wurden in den vergangenen fünf Jahren weltweit abgesetzt, 2.750 kamen nach Deutschland.

Weil Ducati wachsen will, sieht sich die Bologneser Firma gezwungen, in neue Segmente einzudringen. Angesichts der weltweit herausragenden Bedeutung des Cruiser-Segments entwickelte man aus der Diavel die XDiavel und sagt nun: „Call me a Cruiser“. Angesichts der amerikanischen Vorliebe für Wortspiele und Abkürzungen stellen wir die doppeldeutige Frage: X4U?

USA der Cruiser-Markt schlechthin

Auserkoren für die erste Testfahrt mit der XDiavel hat Ducati die Region um San Diego, der südlichsten Stadt an der amerikanischen Westküste; die USA sind bekanntlich der Cruiser-Markt schlechthin. Angesichts der auf frühlingshafte Temperaturen ausgerichteten Bekleidung der ersten Tester wäre es schön, wenn schon die Vorserien-Testfahrzeuge über eine Griffheizung verfügten, denn die Temperaturen bewegen sich auf der Tour zumeist im einstelligen Bereich; dazu weht ein starker, kalter Westwind. Dass angesichts von Schneeresten am Straßenrand 260 Kilometer Fahrt über zumeist kurvige Landstraßen dennoch Spaß gemacht haben, dürfen die Bologneser Entwickler und Marketing-Strategen als Kompliment verbuchen.

Obwohl die XDiavel wichtige Merkmale eines Cruisers präsentiert – genannt seien die typische niedrige Sitzposition mit vorverlegten Fußrasten, der Zahnriemenantrieb und die gewaltige Kraft, die bereits bei niedrigen Drehzahlen zur Verfügung steht –, dominiert bei ihr halt doch eine der beiden Welten, die sie zu vereinen sucht: Dynamisches Motorradfahren drängt sich nach vorne, schiebt das „Erlebnis des Low-Speed-Excitements“ in den Hintergrund. Denn die XDiavel kann mehr als übliche Cruiser: Sie ist viel schräglagenfreudiger (40 Grad sind möglich!), sie ist mit fahrfertig 247 Kilogramm mindestens einen Zentner leichter als ihre fetten Vettern und sie ist mit 115 kW/156 PS deutlich stärker als jeder andere Cruiser auf dem Markt.

Kein Schaltassistent im Angebot

Ducati XDiavel
Die XDiavel soll das Wachstum der Italiener steigern Ducati

Ja, man kann Cruisen, aber man will eigentlich nicht. Leichter fiele es bestimmt, wenn der Fahrer über ein Doppelkupplungsgetriebe oder wenigstens einen feinen Schaltassistenten verfügen könnte. Aber das traut man sich in Bologna (noch) nicht. So sehr Ducati auch darauf hingearbeitet hat, dem mit 1.262 Kubikzentimetern Hubraum größten je in Bologna entwickelten Zweizylindermotor neben gigantischen Kräften auch gute Manieren im unteren Drehzahlbereich anzuerziehen – es sind die mittleren Drehzahlen zwischen 4.000 und 7.500 Touren, die am meisten Spaß machen (die Maximalleistung steht bei 9.500/min zur Verfügung).

Unterhalb von 4.000/min. vibriert der Zweizylinder unter Last beträchtlich. Und Last, also Gasgeben, liebt dieser Motor mit seiner variablen Ventilsteuerung einfach. Er dreht bei Bedarf blitzschnell nach oben, setzt dabei Urgewalten frei. Ein Sportmotor ist er nicht, aber dass das Grundprinzip eines jeden Ducati-Aggregats hochsportlich ist, kann auch er nicht verleugnen, will es aber wohl auch nicht. Denn natürlich lag es Ducati fern, einen Allerwelts-Cruiser zu bauen.

Zu gutem Motorradfahren gehört ein gutes, agiles Fahrwerk. Über ein solches verfügt die XDiavel zweifellos, auch wenn – konzeptionsbedingt – am sehr breiten, gut positionierten Rohrlenker ordentlich gearbeitet werden muss; ein 24 Zentimeter breiter Hinterreifen fällt nun mal nicht von alleine in Schräglage. Die Fahrwerksabstimmung ist sehr kommunikativ geraten; über Straßenschäden bleibt der Fahrer nie im Unklaren. Hoffentlich hat er keine lädierten Bandscheiben. Fahrphysikalisch ist alles bestens angerichtet, wozu die Elektronik viel beiträgt: drei Fahrmodi, Traktionskontrolle, komplettes Sicherheitspaket von Bosch und Brembo für hervorragendes, sogar in Schräglage blockierfreies Bremsen – die XDiavel ist auf höchstem Niveau unterwegs.

Gute Ergonomie

Ducati XDiavel
Bei dieser Kulisse macht das Motorradfahren Spaß Ducati

Ergonomisch ist alles gut angerichtet; langbeinige Piloten tun sich ein wenig schwer mit dem Knieschluss am Tank. Die Rasten können serienmäßig in drei Stellungen fixiert werden, dank dreier Lenker-Optionen und fünf unterschiedlichen Sitzbänke ergeben sich 60 Ergonomie-Kombinationsmöglichkeiten. Sehr pfiffig gestaltet ist die optionale Sozius-Rückenlehne, perfekt die im Dunkeln rötlich schimmernde Illumination der wichtigsten Lenkerschalter. Gut auch, dass die Serienfahrzeuge eine automatische Blinkerrückstellung aufweisen werden. Sehr gut ablesbar präsentiert sich das neu entwickelte 3,5 Zoll-TFT-Display, dessen Oberfläche mit dem Fahrprogramm differieren kann. Der Wechsel der Riding Modes erfordert mehrfaches Knöpfchendrücken und kurzes Schließen des Gasgriffs; wir haben schon einfacher zu bedienende Systeme gefahren. Alles in allem ist die knapp 20.000 Euro teure XDiavel aber gut zu bedienen.

Schon längere Zeit bietet Ducati zusätzlich zu den Basismodellen stets besonders schick gemachte R- bzw. S-Versionen an. Im Falle der XDiavel erfordert die unverschämt gut aussehende S-Version satte 3.000 Euro Zuzahlung; zumindest in Deutschland wird aber wohl die Mehrzahl der Käufer nicht vor dieser Investition zurückschrecken, glaubt die Deutschland-Dependance. Gegenwert ist eine noch extrovertierter wirkende Maschine u.a. mit perfekt gelungener Bearbeitung des Motorgehäuses, der Ausrüstung mit echten Hingucker-Felgen sowie Voll-LED-Licht samt einem echten Tagfahrlicht und Bluetooth-Modul.

Schön, dass es zusätzlich zur auch nach fünf Jahren noch stark gefragten Diavel jetzt auch die XDiavel gibt; sie ist nicht fürs weite Reisen, aber großartig fürs lässige, aber dynamische Motorradfahren geeignet. Und im besonders verbindlichen Urban-Modus ist auch Cruisen hinreichend vergnüglich. Nicht dass wir's vergessen: Raketenstarts beherrscht die XDiavel auch. Fürs Dragster-Feeling bis 120 km/h zuständig ist ein neues Elektronik-Gimmick, Ducati Launch Control genannt. Maximal drei Vollgas-Starts hintereinander erlaubt die Technik, dann braucht die Kupplung Erholung. Mit einem Dragster-Cruiser macht Ducati doch niemandem ein X für ein U vor – oder etwa doch? (SP-X)

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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